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Männern und Frauen eine gastliche Aufnahme und edle Geselligkeit.
Im Umgänge mit ihnen und in dem Undenken an ihren großen Vater,
ihren edlen Gemahl und ihre hochherzigen Söhne fand sie Trost, nicht
minder aber auch in den vielen Beweisen der Siebe und Teilnahme, welche
sie von dem römischen Volke empfing, das ihren Söhnen ein dankbares
Gedächtnis bewahrte, lvenn sie den Fremden, die ihr Haus aufsuchten,
und unter denen auch gebildete Griechen sich häufig einfanden, von den
Taten ihres Vaters erzählt hatte, sprach sie mit mütterlichem Stolze, die
Uede auf ihre Söhne lenkend: „Und dieses großen Mannes würdige Enkel
waren meine Söhne,' in den Tempeln und Hainen der Götter ist ihr Blut
vergossen worden, einer Grabstätte, ihrer Taten wert. Für das höchste
haben sie ihr Leben zum Opfer gebracht, für die Wohlfahrt des Volkes."
Vas Volk aber, das die Stätten heilig hielt, wo das hochherzige
Brüderpaar gefallen war, setzte auch der so hochverehrten Frau eine
Bildsäule mit der Inschrist: „Cornelia, die Mutter der Gracchen."
Georg Weber.
108. Die Erziehung der Mädchen im alten Rom.
ie uns erhaltenen Nachrichten über die Mädchenerziehung
in Rom beziehen sich zum größten Teil auf die Frauen der
höheren Stände.
Die römischen Kinderstuben waren den unsrigen in vielen
Dingen nicht unähnlich. Die Wünsche und Sorgen der Mütter,
Verwandten und Wärterinnen, die inbrünstigen Gebete für das Wohl¬
ergehen des Töchterchens, die Liebkosungsworte und Schmeichel¬
namen, den Gebrauch von allerlei kleinen Beschwichtigungsmitteln:
alles dies hatten die Kinderstuben jener Zeit mit den heutigen
gemein. Hatte die Kleine mit Ball und Puppe sich müde gespielt,
dann saß sie erwartungsvoll zu den Füßen der alten Wärterin, von
deren Lippen das wohlbekannte „Es war einmal ein König und
eine Königin" ertönte. Nicht bloß in diesem Anfange stimmte das
römische Märchen mit unseren Haus- und Volksmärchen überein;
es führte überhaupt die kindliche Phantasie in das nämliche bunte,
glänzende Reich der Wunder. Auch unter seinen Heldinnen war
die wunderschöne Königstochter, „so schön, daß es mit Worten
gar nicht zu sagen war". Sie war die jüngste von dreien und wurde
von ihren minder schönen Schwestern beneidet und mit bösen Ränken
verfolgt, heiratete aber endlich doch den Königssohn, während die
beiden anderen zur Strafe ihrer Schändlichkeit einen schrecklichen
1 od fanden. Auch wir kennen die angstvolle Spannung, welche