Object: (Prosa) (Teil 7 - 9 in 1 Bande, [Schülerband])

Monarch und Parlament hatten einander in schweren innern 
Kämpfen gegenseitig kennen und achten gelernt; die Ehrlichkeit der 
königlichen Würde, die sichere Ruhe des Königs hatten schließlich die 
Achtung auch seiner Gegner erzwungen, und der König selbst war durch 
sein hohes persönliches Ehrgefühl zu einer gerechten Beurteilung der 
beiderseitigen Situationen befähigt. Das Gefühl der Gerechtigkeit nicht 
bloß seinen Freunden und seinen Dienern gegenüber, sondern auch im 
Kampf mit seinen Gegnern beherrschte ihn. Er war ein gentleman ins 
Königliche übersetzt, ein Edelmann im besten Sinn des Worts, der sich 
durch keine Versuchung der ihm zufallenden Machtvollkommenheiten von 
dem Satz noblesso oblige dispensiert fühlte; sein Verhalten in der innern 
wie in der äußern Politik war den Grundsätzen des Kavaliers alter 
Schule und des normalen preußischen Offiziersgefühls jederzeit unter¬ 
geordnet. Er hielt auf Treue und Ehre nicht nur Fürsten, sondern auch 
seinen Dienern bis zum Kammerdiener gegenüber. Wenn er durch augen¬ 
blickliche Erregung seinem feinen Gefühl für königliche Würde und Pflicht 
zu nahe getreten war, so fand er sich schnell wieder und blieb dabei 
„jeder Zoll ein König", und zwar ein gerechter und wohlwollender 
König und ehrliebender Offizier, den der Gedanke an sein preußisches 
Portepee auf richtigem Weg erhielt. 
Der Kaiser konnte heftig werden, ließ sich aber in der Diskussion 
von der etwaigen Heftigkeit dessen, mit dem er diskutierte, nicht an¬ 
stecken, sondern brach dann die Unterredung vornehm freundlich ab. Aus¬ 
brüche wie in Versailles bei Abwehr des Kaisertitels waren sehr selten. 
Wenn er heftig wurde gegen Leute, denen er wohlwollte, wie dem 
Grafen Roon oder mir, so war er entweder durch den Gegenstand selbst 
erregt oder durch fremde, außeramtliche Besprechungen vorher an Auf¬ 
fassungen gebunden, die sich sachlich nicht vertreten ließen. Graf Roon 
hörte dergleichen Explosionen an, wie ein Militär in der Front den 
Verweis eines hohen Vorgesetzten, den er nicht verdient zu haben glaubt, 
aber er litt nervös darunter und sekundär auch körperlich. Auf mich 
haben Ausbrüche von Heftigkeit des Kaisers, die ich seltner erlebte als 
Roon, niemals kontagiös, eher abkühlend gewirkt. Ich hatte mir die 
Logik zurechtgelegt, daß ein Herrscher, der mir in dem Maß Vertrauen 
und Wohlwollen schenkte, wie Wilhelm I., in seinen Unregelmäßigkeiten 
für mich die Natur einer vis major habe, gegen die zu reagieren mir 
nicht gegeben sei, etwa wie das Wetter oder die See, wie ein Natur¬ 
ereignis, auf das ich mich einrichten müsse; und wenn mir das nicht
	        
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