„Der Tag der Vernunft". Plünderung der Kirchen.
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Die Religion der Freiheit.
Während in Paris und in den Provinzen die Gnillotine arbeitete und Füsilladen*)
^nd Noyaden nachhalfen, wurde der von Romme gepriesene Kalender eingeführt und der
Sonntag samt allen christlichen Festen abgeschafft. „Der lange Gebrauch des gregorianischen
Kalenders," sprach Fabre d'Eglantine im Konvent am 6. Oktober 1793, „hat das Gedächtnis
des Volkes mit einer beträchtlichen Zahl von Bildern erfüllt, welche es lange Zeit verehrt hat
und welche noch die Quelle seiner religiösen Irrtümer sind. Es ist darum an der Zeit, an
die Stelle dieser Träume der Unwissenheit die Wirklichkeiten der Vernunft zu setzen uud an die
Stelle des priesterlichen Vorurteils die Wahrheit der Natur ... Die Priester haben für jeden Tag
einen Heiligen angefetzt, dieses Verzeichnis hat aber weder Nutzen noch Methode, es ist eine
Sammlung von Täuschungen. Diese Heiligen müssen aus dem Kalender hinaus und an
ihre Stelle müssen wirkliche Gegenstände, wenn auch nicht seines Kultus, doch feiner Kultur
kommen, die nützlichen Erzeugnisse der Erde, die Werkzeuge, deren wir uns beim Ackerbau
bedienen, die Haustiere, diese treuen Gehilfen bei unserer Arbeit; diese Haustiere sind viel
wertvoller als jene von Rom heilig gesprochenen Skelette aus den Katakomben."
Am 29. Oktober 1793 verbot Henriot, der Befehlshaber der Nationalgarde, alle Aus¬
übung des katholischen Kultus außer der Kirche. Am 7. November erwirkte der Procureur
Chaumette in der Kommune den Beschluß, ein Verzeichnis der Bürger anzulegen, welche auf
alle Kulthandlungen, ihre Anstellungsbriefe uud ihre Würde als Priester verzichten wollten.
Als Gobel, der den Zivileid mit einer gewissen Zurückhaltung geleistet und das Bistum Paris
eingenommen hatte und von Belfort zu den Ständen nach Versailles gesandt worden war,
vor den Konvent trat und erklärte: „Der Wille des Volkes galt mir stets als das höchste
Gesetz und die Unterwerfung unter seinen Willen als meine erste Pflicht, heute darf es
keinen nationalen Gottesdienst mehr geben als den der Freiheit und Gleichheit, heute lege
ich also meine Wirksamkeit als katholischer Geistlicher nieder," beschloß man, den Tag dieser
Erklärung „den Tag der Vernunft" zu heißen. Und doch hatte Gobel dabei nur aus Angst
und auf Drängen Ehaumettes gehandelt und bereute bald bitter seine Feigheit. Andere
konstitutionelle katholische Geistliche, auch der protestantische Pfarrer Julien aus Toulouse
folgten dem Beispiel der Abdikation. Cloot überreichte der Versammlung sein Werk über
die Wahrheit des Mohammedanismus, worin er bewiesen zu haben wähnte, daß alle positiven
Religionen Lügen seien, und die Gabe wurde mit ehrendem Danke aufgenommen. Er ver¬
kündigte die Lehre, es gebe keinen Gott als den, welcher in der Menschheit, im Geiste zum
Bewußtsein komme, keinen als die Vernunft. Einer der wenigen, die gegen die Abdikation
sich erhoben, war Gregoire, konstitutioneller Bischof von Blois. Gegen die Rechte der
römischen Kurie, gegen die Rechte des Gesalbten, welchen ihm der Herr zum König gegeben,
hatte er Stellung genommen, Christum verleugnen, das wollte er nicht.
Die Glocken waren von den Türmen schon fast in die Kanonengießereien gewandert,
das Kirchensilber größtenteils in die Münze. Nun konnte man auch den letzten Rest weg¬
nehmen, die Meßkelche und Weihrauchfässer. Aus dem Leinenzenge der Kirchen machte man
*) Um die Gefängnisse bald zu leeren, gingen die Richter rasch voran und schrieben meist nur hinter
den Namen ein F (füsilier = zu erschießen) oder G (guillotiner — zu guillotinieren). Tausende wurden
ertränkt.