55 Auch ich war jung einst, traut' auf meinen Stern
Und glaubt' an Menschen. Doch der Wahn der Jugend
Zerstob zu bald nur; und, ins Innere lugend,
Verfault erfand ich alles Wesens Kern.
Da war kein Ding so hoch und bar der Rüge,
60 Der Wurm faß drin; aus jeder Großtat sahn
Der Selbstsucht Züge mich versteinernd an;
Lieb', Ehre, Tugend — alles Schein und Lüge!
Nichts unterschied vom reißenden Getier
Dies Kotgeschlecht, als im ehrlosen Munde
65 Der Falschheit Honig und im Herzensgründe
Die größre Feigheit und die wildre Gier.
Wo war ein Freund, der nicht den Freund verriet?
Ein Bruder, der nicht Brudermord gestiftet?
Ein Weib, das lächelnd nicht den Alaun vergiftet?
70 Nichtswürdig alle — stets dasselbe Lied.
Da ward auch ich wie sie. Und weil nur Schrecken
Sie zähmte, lernt' ich Schrecken zu erwecken;
Und Krieg mit ihnen führt' ich. Zum Genuß
Ward ihre Qual mir, ihr verendend Röcheln,
75 Ich schritt ins Blut hinein bis zu den Knöcheln —
Doch auch das Grausen wird zum Überdruß.
Und jetzt, nur noch gequält vom Strahl des Lichts,
Matt, trostlos, reulos starr' ich in das Nichts."
Sein Wort ging tonlos aus; er keuchte leis
80 Im Krampf, von seinen Schläfen floß der Schweiß,
Und graß verstellt, wie eine Larve, sah
Sein blutlos Antlitz. Zn des Lagers Stufen
Trat Macro da: „Soll ich den Casus rufen,
Herr, deinen Enkel, den Caligula?
85 Du bist sehr krank —"
Doch jener: „Schlange, falle
Mein Fluch auf dich! Was geht dich Casus an!
Noch leb' ich, Mensch! Und Casus ist wie alle,
Ein Narr, ein Schurk', ein Lügner, nur kein Mann!
90 Und wär' er's, frommt' es nicht; kein Held verjüngt
Rom und die Welt, wie er mit Blut sie düngt.
Wenn's Götter güb', auf diesem Berg der Scherben
Vermöcht' ein Gott selbst nicht mehr Frucht zu ziehn,
Und nun der blöde Knab'! Nein, nein, nicht ihn,
95 Die Nachegeister, welche mich verderben,
Die Furien, die der Abgrund ausgespien,