Full text: [Teil 5 = Kl. 3, 2 u. 1, [Schülerbd.]] (Teil 5 = Kl. 3, 2 u. 1, [Schülerbd.])

Mannschaften waren schon seit Stunden beisammen. Herr Nettenmair 
hatte seinen Sohn Apollonius nach der Hauptwachtstube im Rathause 
gesandt, um da seine, des Ratsschieferdeckermeisters, Stelle zu vertreten. 
Die zwei Gesellen saßen bei den Tnrmwächtern, der eine zu Sankt 
Georg, der andere zu Sankt Nikolaus. Die übrigen Ratswerkleute 
unterhielten sich in der Wachtstube, so gut sie konnten. In dem Augen¬ 
blick brauste der Sturmwind von neuem in den Lüften daher. Auf dem 
Rathausturme schlug es eins. Der Glockenton wimmerte in den Fäusten 
des Sturmes, der ihn mit sich fortriß in seine wilde Jagd. Apollonius 
trat an ein Fenster, wie um zu sehen, was es draußen gebe. Da 
leckte eine riesige schwefelblaue Flamme herein, bäumte sich zitternd zwei¬ 
mal an Ofen, Wand und Menschen auf und verschlang sich spurlos in 
sich selber. 
„Das hat eingeschlagen!" sagte einer. Ein Hilfegeschrei, ein Feuer¬ 
ruf erscholl durch Sturm und Donner. „Es hat eingeschlagen!" schrie es 
draußen auf der Straße. „Es hat in den Turm von Sankt Georg 
geschlagen. Fort nach Sankt Georg! Jo! Hilfe! Feuerjo! Auf Sankt 
Georg! Jo! Feuerjo auf dem Turm von Sankt Georg!" Hörner 
bliesen, Trommeln wirbelten darein. Und immer der Sturm und Donner 
auf Donner. Dann ries es: „Wo ist der Nettenmair? Kann einer 
helfen, ist's der Nettenmair! Jo! Feuerjo! Auf Sankt Georg! Der 
Nettenmair! Wo ist der Nettenmair? Jo! Feuerjo! Auf dem Turm 
zu Sankt Georg!" 
Der Bauherr sah Apollonius erbleichen, seine Gestalt noch tiefer in 
sich zusammensinken als seither. „Wo ist der Nettenmair?" rief es wieder 
draußen. Da schlug eine dunkle Röte über seine bleichen Wangen, und 
seine schlanke Gestalt richtete sich hoch auf. Er knöpfte sich rasch ein, zog 
den Riemen seiner Mütze fest unter dem Kinn. „Bleib' ich," sagte er zu 
dem Bauherrn, indem er sich zum Gehen wandte, „so denkt an meinen 
Vater, an meines Bruders Weib und seine Kinder!" Der Bauherr war 
betroffen. Das „Bleib' ich" des jungen Mannes klang wie: „Ich werde 
bleiben." Er hatte nicht Zeit, etwas zu erwidern. Er drückte ihm die 
Hand. Apollonius empfand alles, was der Händedruck sagen wollte. Er 
sagte mit seinem alten Lächeln: „Auf solche Fälle bin ich immer bereit. 
Aber es gilt Eile. Auf frohes Wiedersehen!" Der schnellere Apollonius 
war dem Bauherrn bald aus den Augen. 
Der Ruf: „Nettenmair! Wo ist der Nettenmair?" tönte dem Ge¬ 
rufenen auf seinem Wege nach Sankt Georg entgegen und klang hinter 
ihm her. Das Vertrauen seiner Mitbürger weckte das Gefühl seines 
Wertes wieder in ihm auf. Als er, aus der Fremde zurückkehrend, die 
Heimatstadt vor sich liegen sah, hatte er sich ihr und ihrem Dienste gelobt. 
Nun durfte er sich zeigen, wie ernst gemeint sein Gelübde war. Er 
übersann in Gedanken die möglichen Gestalten der Gefahr, und wie er
	        
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