452
daß gerade die Kriegsschiffe, die dem Deutschen Kaiser entgegenfuhren, aus
dem Kriegshafen in den Bosporus hineinglitten, und daß deshalb für eine
Stunde der Brückenverkehr unterbrochen wurde. Erst hielten wir diesen
Aufenthalt für einen Verlust; aber von Minute zu Minute verwandelte er
sich in Gewinn; denn das Heer von Menschen, Pferden, Wagen schwoll an
beiden Seiten ins Unabsehbare. Alles Menschenvolk unter der anatolischen
Sonne schien seine Vertreter gesendet zu haben. Es fiel dem Theologen
unwillkürlich jene Bibelstelle ein, die von den Besuchern der ersten Pfingsten
in Jerusalem redet: Perser, Meder, Elamiter, Juden und Judengenossen,
Türken und Araber, Griechen, Bulgaren, Armenier und die da wohnen an
den Grenzen der Wüste, dazu Fremde aus Rom, Paris und von den Strömen
der Germanen. Wer zählt die Völker, nennt die Namen? Geduldig starrte
der Menschenstrom. Es gibt kein Wort, das den Eindruck dieser Masse
so sehr kennzeichnet, als das Wort Geduld. Wo der rastlose Abendländer
aus der Haut fahren möchte, wo unsere Menschen schimpfen und unsere
Pferde nervös werden würden, herrscht natürlich keine Stille — wann
wäre es im Süden still? — aber es waltet eine gute türkische Ergebung bei
Mensch und Tier. Diese leidenschaftslose Hingebung an das, was eben
ist, ist Tugend und Mangel zugleich. Offiziere, die vom Selamlik kamen,
standen mitten unter Lastträgern, Eseltreibern und Hausierern, direkt neben
uns eine hochelegante Kutsche mit zwei arabischen Schimmeln, umlagert
von Melonenverkäufern und lachenden Griechenjungen, die sich gegenseitig
zupfen und stoßen. Endlich ist es erlaubt, daß Fußgänger die Brücke
überschreiten. Zu Tausenden wogte der rote Fes hinüber und herüber.
Es war ein Marsch internationaler Kolonnen, wenn auch nicht ein Marsch
international denkender Menschen. Jeder von diesen Tausenden hat seinen
Stamm, an dem er klebt, sein Bekenntnis, seinen Patriarchen, seinen Gott.
Erst nach dem Heer der Fußgänger kamen Wagen und Reiter. Niemals
könnte ein solcher Übergang in Deutschland ohne Verletzungen vor sich
gehen. Hier wird gebrüllt, als ob eine Hekatombe von Leuten am Spieße
stäke, aber alles geht glatt und gut. Die Völkerparade an der Brücke ist zu
Ende, nach allen Ecken der weiten Stadt zerstreut sich das Volk; zwischen
Moscheen und Basaren, durch enge Gassen und über holprige Plätze reiten
wir bis dorthin, wo die Eisenbahn Stambul im Süden umkreist.
2.
Wer durch Konstantinopel zu Fuße gehen will, der tut am besten,
Bergschuhe zu benutzen und einen kleinen Alpenstock zu kaufen. Ohne
solche Hilfsmittel ist die Wanderung beschwerlich. Aber freilich das
bequemste Mittel, Konstantinopel kennen zu lernen, sind die vorzüglichen
kleinen kräftigen Pferde, die man an den Straßenecken mietet. Beim
Mieten und Bezahlen gibt es etwas orientalischen Zank, aber was schadet
das? Im ganzen reitet man billig, und zu Pferd ist man in der besten