Full text: [Teil 5 = Kl. 3, 2 u. 1, [Schülerbd.]] (Teil 5 = Kl. 3, 2 u. 1, [Schülerbd.])

vor ihren Augen auf: das weite, reiche Maintal glühte im Sonnenschimmer, 
Hütte an Hütte stieg aus den Gründen, und der Ranch von hundert 
Feuerstätten hob sich, zum leichten Gewölk verschwebend, in die reine 
Winterluft. Die Gatten küßten sich bei diesem Anblick und küßten ihr 
Kind und fielen nieder und beteten. Der Mann aber wagte noch nicht 
wieder, seiner Frau ins Auge zu schauen. Doch diese hob ihn liebreich 
auf und sprach: „Laß uns des alten Jahres jetzt vergessen, obgleich es 
kein Jahr des Teufels gewesen; denn siehe, noch ist das neue Jahr nur 
wenige Stunden alt, und doch hat es schon so reiche Verheißung gebracht, 
daß wir frohgemut zum Wanderstabe greifen. Denn die neue Pilgerfahrt 
beginnt, wo gestern die alte schloß: Im Jahr des Herrn!" 
9. friecke auf Erclen. von Hdoif Scbmtttbenmr. 
Novellen. Leipzig 1896. 8. 421. 
s gibt ein Dörflein, liegt also fernab von aller Welt, 
daß gute und schlechte Mär zwei Monate später dort¬ 
hin kommt als sonst an irgendeinen Fleck in deutschen 
Landen. So geschah es, daß man um die Weihnachts¬ 
zeit des Jahres 1648 in selbigem Dorfe noch nicht 
wußte, daß nach dreißigjährigem Kriegsjammer Friede 
worden war im Vaterland, und doch hatten die Herren 
Gesandten zu Münster und Osnabrück schon am 25. Oktober mit um¬ 
ständlicher Feierlichkeit das letzte große Punktum gesetzt. Bald nach 
Martini zwar ist ein fahrender Geselle gekommen, der erzählte im Wirts¬ 
haus, es sei Fried' im Reich, und er selber habe gesehen, wie die Bauern 
drunten am Strom auf der Heerstraße ihre Schweine zu Markt getrieben 
hätten; aber niemand glaubte es ihm. Einer holte den alten Schul¬ 
meister. Der fühlte dem Fremden auf den Zahn durch allerlei Fragen. 
Als der Geselle erzählte, daß er auf der hohen Schule zu Padua gewesen 
sei, und daß man dort jetzt den Stoßdegen unter dem Rockschoß trage, 
da raunte der Schulmeister den andern zu: „Traut ihm nicht, 's ist ein 
Lateinischer," und schier gar hätte der Wandersmann für seine Friedens¬ 
botschaft Schlüge bekommen. 
So wähnten sich die Leute mitten im Krieg. Wer etwas in Feld 
oder Wald zu schaffen hatte, nahm einen guten Gesellen mit. Abwechselnd 
trugen sie das Feuerrohr, und ehe sie an die Arbeit gingen, suchten sie 
das Umland ab; während der eine Holz machte oder ackerte, stand der 
andere aus Wache. Einige Male hatten sich Gewaffnete gezeigt; die 
wurden durch Schüsse vertrieben. Ob es versprengte Soldaten waren 
oder Raubgesindel, wußte man nicht. Allsonntäglich fügte der Pfarrer 
dem großen Kirchengebet die Bitte um den edlen Frieden bei, und 
fast alle andermal ließ er sein Lieblingslied singen: „Ach Gott vom
	        
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