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so weniger will es mit einer häßlichen, kopflosen Pnppe spielen. In
späteren Jahren sitzt es am Stickrahmen und kopiert fleißig das Muster.
Ob's ihm nur um brillante Farben oder zugleich um hübsche Zeichnung
zu tun ist, wird immerhin über Sinn und Geschmack des Kindes entscheiden.
Ihre Stuben sind mit Bildern behängen. Eine leere Wand hat
etwas mehr denn Unschönes. In allen Gestalten finden Sie hier die
Bilderwelt vertreten — Landschaft, Genrebild, Stilleben, Fruchtstücke,
Portraits. Daß es zur „Bildung" gehört, „Bilder" zu besitzen, ist gewiß
sehr bezeichnend und kann Ihnen den genauen Zusammenhang beider
nachweisen. Man könnte versucht werden, die Standesunterschiede durch
das Material des Bildwerks zu bezeichnen, Ölbilder sind Zeichen des
Reichtums; der gute Stahlstich findet sich in bemittelten Familien; die
Lithographie bezeichnet den niederen Bürgerstand; der Holzschnitt gehört
dem Volke an. Die Marmorstatne findet sich nur in sehr reichem Hause,
der Gips aber ist wie die Photographie bei allen Ständen eingebürgert.
Für ein Bild in der Stube hat unser Volk immer noch etwas übrig
und bezeugt dadurch, daß es nicht vom Brot allein lebt. Wenn der
Bilderhändler ins Hans kommt, so greift wohl auch nach etlichem Zögern
der bescheidene Mann in die Tasche und meint, es sei recht, auch etwas
für die „Kunst" zu tun; die Kunst ist kein Vorrecht der Reichen mehr.
In den ärmsten Wohnungen unserer Städte finden Sie den Bilder-
schmnck. Wo der Rahmen fehlt, wird das Bild an die Wand geklebt,
und wären es auch nur, wie ich einmal sah, sämtliche Puppenköpfe aus
einer Lieferung der Mvdezeitung. Ein paar Bilder aus dem Kalender
zieren dort die Wand, der Text schimmert noch unter ihnen durch — aber
es ist doch immerhin ein Bild. Die Photographie hilft jetzt redlich mit,
die Stube des einfachen Mannes zu illustrieren, oder hängt nicht dort in
der Kammer der einsamen Alten der Sohn, der beim Regiment ist, natur¬
getreu photographiert in voller Paradeuniform? Wäre auch das Gesicht
weniger getroffen, weil der Mann nicht still gehalten — der Helm und
der Busch, der Waffenrock und die blanken Knöpfe daran, das Faschinen¬
messer sind um so lebensvoller — und das Ganze, noch dazu bunt
bemalt, kostet keine zehn Groschen!
Daß aber unser Volk kunstliebend ist, davon kann uns nicht bloß
der Gang in seine Wohnung, sondern auch das Leben ans der Gasse
überzeugen. Vor Monumenten, Kirchen und großen Bauten bleibt unser
Volk stehen, und nicht aus bloßer Lust am Gassen. Man sollte denken,
der appetitliche Laden eines Metzgers, der — beiläufig gesagt, seine
Schinken und Würste auch nüt einer gewissen Kunst am Schaufenster in
Girlanden hängt und Blumen und Gipsfignren dazwischen nicht spart —
man sollte denken, sage ich, ein solcher Laden hätte etwas Einladendes
und Anziehendes zum Stehenbleiben — und doch sind die Schaufenster
einer Kunsthandlung ganz anders besetzt. Der Blick fällt weit weniger