Die großen überseeischen Entdeckungen. Humanismus und Renaissance. 129
besitz. — Die neue Welt, besonders Amerika, bot Raum für die überschüssige
Bevölkerung Europas und somit für die Ausbreitimg der weißen Rasse. Diese
Auswanderungsmöglichkeit milderte zugleich manchen politischen und religiösen
Gegensatz innerhalb der europäischen Staaten, indem Andersdenkende oder Anders-
gläubige häufig nach Amerika gingen.
c) Geistige Folgen. Der geistige Gesichtskreis der Menschheit wurde er-
wettert durch die Bereicherung der Wissenschaften, vor allem der Naturwissen-
schaften nebst der Länder- und Völkerkunde. Jetzt erst bekam man eine richtige
Vorstellung von der Gestalt und Größe der Erde, von den klimatischen Verhält-
nissen usw. Man lernte neue Menschen, Tiere, Pflanzen, Sprachen, Kultur-
zustände kennen: kurz, die Welt wurde für den Kulturmenschen größer und bot
ihm ein neues Feld praktischer sowie geistiger Betätigung.
III. Humanismus und Renaissance.
Während des Mittelalters galt der einzelne Mensch lange Zeit hin-
durch nur insofern etwas, als er einer Gemeinschaft (Kirche, Staat, Stand,
Zunft usw.) angehörte. Das Recht seine persönliche Eigenart zu entfalten,
d. h. die Freiheit des Denkens und Handelns, mußte hinter die genossen-
schaftliche Gebundenheit zurücktreten. Je mehr aber schon gegen Ende
des Mittelalters, besonders seit der Verbreitung der Buchdruckerkunst,
die allgemeine Bildung sich hob, desw mehr entwickelte sich der Jndi-
v i d u a l i s m u s, d. h. das Bestreben des Einzelnen, seine Persönlich-
feit nach eigenem Ermessen ftei auszugestalten und zu betätigen. Dazu
kam, daß in weiten Kreisen an die Stelle der bisherigen Weltentsagung
eine gewisse Daseinsfreude trat, die den Menschen anspornte, alle
Kräfte des Körpers und des Geistes harmonisch auszubilden und an-
gemessen zu verwerten. Dieses Ringen nach Ausbildung einer edlen Mensch-
lichkeit nannte man Humanismus. Da aber das rein Menschliche nirgends
vollendeter zum Ausdruck gelangte als bei den alten Griechen, wandte
sich das gebildete Abendland mit neuerwachter Begeisterung dem klas-
fischen Altertum zu, das ja geistig unter dem Einflüsse der Griechen
stand. Diese „Wiedergeburt" des Altertums in Wissenschaft und Kunst sowie
in allen Bildungs- und Lebensformen wird als Renaissance^) bezeichnet.
Ihren Ausgang nahm die Bewegung von Italien. Zunächst wett-
eiferte der Mediceerhof in Florenz, der Hof der E st e in Ferrara u. a.
uni den Ruhm, die neue Bildung und Kunst zu fördern. Dann wurde durch
eine Reihe hochgebildeter und kunstsinniger Päpste Rom zum Haupt¬
sitz der Renaissance erhoben. Von Italien aus drang die Bewegung nach
Frankreich, England, den Niederlanden und auch nach Deutschland.
!) Das Studium der griechischen Kunst und Wissenschaft im Abendlande wurde
u. a. auch dadurch gefördert, daß beim Vordringen der Türken im Osten manche
griechische Gelehrte mit ihren Kunst- und Bücherschätzen nach dem Westen, besonders
nach Italien, flohen und dort ihr Wissen verbreiteten.
Lorenz, Geschichte für Lehrer- und Lehrerinnenbildungsanstalten II. 9 /