Full text: [Teil 4 = Kl. 2 u. 1, [Schülerbd.]] (Teil 4 = Kl. 2 u. 1, [Schülerbd.])

Zuletzt fanden der Magister Konradus und sein liebliches Kind, 
nachdem die Rüden bis auf den tapferen Marschalck, der auch nicht mehr 
sah und nicht mehr stark war, abgestorben waren, in dem Grauen, das 
sich um ihr Leben in der Verborgenheit, um die Hütte an der hohen 
Tanne geisterhaft legte, den einzigen Schutz. Ja, dieses Grauen gab 
ihnen besseren Schutz, als der Pastor Leutenbacher mit allen seinen Er¬ 
mahnungen, Warnungen und Bitten den armen, rohen, unwissenden Seelen 
in seiner Gemeinde abringen konnte. 
Daß der Psarrherr von dem „fremden Volke" zuerst und am giftigsten 
verzaubert worden sei, wußte jedes Kind im Dorfe. Es war ihm „an¬ 
getan", selbst Gott der Herr, der doch alle Dinge gemacht hatte, konnte 
ihm kaum noch helfen. 
Wahrlich lag aus dem Pfarrherrn Friedemann Leutenbacher ein 
Zauber, und ein gewaltiger! Je mehr seine Nachbarn im Elend, seine 
Pfarrkinder, sich mit Scheu und Abscheu von dem Wesen im Walde ab¬ 
wendeten, desto mehr und heftiger fühlte er sich dazu hingezogen, und 
wenn solches ein Zauber war, so war es doch kein Wunder. 
Der Pfarrer im Elend hatte im Gegensatz zu seiner Zeit immerdar 
aufs innigste mit der Natur verkehrt, der Arme hatte ja aus seinem 
und seiner Umgebung Jammer nie eine andere Zufluchtsstätte gehabt als 
den Wald, und wenn er wenig wußte von der gelehrten Kunst, jedes 
schöne Leben in Forst und Feld zu zergliedern und bei seinem lateinischen 
oder griechischen Namen zu nennen, so hielt er sich an die Namen, die 
Adam den Dingen gegeben, und ließ sie in jedweder Stimmung nach 
Adams Werse aus sich wirken. Er sah die Zeiten des Jahres — er 
sah den Nebel, den Regen, den Schnee, den Sonnen- und Mondenschein 
kommen und gehen. Er lehnte am knorrigen Stamme der Eiche im 
Schatten und blickte in das glänzende Land, dessen Brand- und Blut¬ 
stätten, dessen verwüstete Felder und Fluren in der allgemeinen Schönheit, 
die der Mensch der Erde nimmer zu nehmen vermag, verschwanden 
und untergingen. Er lag den sonnigen Tag über im Grase am Berges¬ 
hang und blickte über die schwarzen Lettern seines Neuen Testaments 
in die geheimnisvolle Finsternis des Tannenwaldes und hörte die Tannen 
leise singen im Hauch des Windes. Weithin war er mit seiner Gegend 
vertraut, und jeden Fels und Stein, jeden Quell, jeden dunkelklaren 
Weiher im Forste kannte er und kam zu ihnen, mit ihnen zu verkehren 
wie mit Freunden und Verwandten — heute mit diesem, morgen mit 
dem, wie sein Herz und die bange oder leichtere Stimmung des Tages 
ihn trieben. Den dritten Teil seiner Predigten verfertigte er im Walde 
— er trug seine Seele hinein und gab sie ihm. 
Aber wenn der Mensch seine Seele gibt, so muß er auch eine Seele 
wiederempfangen, wenn sich nicht der hohe Segen zum bittersten Unheil 
verkehren soll, und es ist einerlei, ob die Seele einem Weibe, einer 
5 
10 
15 
20 
25 
30 
35 
40
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.