Full text: [Teil 4 = Kl. 5 u. 4, [Schülerbd.]] (Teil 4 = Kl. 5 u. 4, [Schülerbd.])

124-, Dèi* Z^Utlköni^, Von den Brüdern Grimm. 
Kinder- und Hausmärchen. Originalausgabe. 32. Auflage, besorgt von Rein- 
hold Steig. Stuttgart und Berlin 1906. 8. 501. 
3N den alten Zeiten, da hatte jeder Klang noch Sinn und Bedeutung. 
Wenn der Hammer des Schmieds ertönte, so rief er: „Smiet mi 
to ! Smiet mi to!" Wenn der Hobel des Tischlers schnarrte, so sprach 
er: „Dor hast! Dor, dor hast!" Fing das Räderwerk der Mühle an zu 
klappern, so sprach es: „Help, Herr Gott! Help, Herr Gott!" Und Mar¬ 
der Müller ein Betrüger und ließ die Mühle an, so sprach sie hochdeutsch 
und fragte erst langsam: „Wer ist da? Wer ist da?" Dann antwortete 
sie schnell: „Der Müller! Der Müller!" und endlich ganz geschwind: 
„Stiehlt tapfer, stiehlt tapfer, vom Achtel drei Sechter." 
Zu dieser Zeit hatten auch die Vögel ihre eigene Sprache, die 
jedermann verstand; jetzt lautet es nur wie ein Zwitschern, Kreischen und 
Pfeifen und bei einigen wie Lieder ohne Worte. Es kam aber den 
Vögeln in den Sinn, sie wollten nicht länger ohne Herrn sein und einen 
unter sich zu ihrem König wählen. Nur einer von ihnen, der Kiebitz, 
war dagegen; frei hatte er gelebt, und frei wollte er sterben, und angst¬ 
voll hin und her fliegend, rief er: „Wo bliew ick? Wo bliew ick?" Er¬ 
zog sich zurück in einsame und unbesuchte Sümpfe und zeigte sich nicht 
wieder unter seinesgleichen. 
Die Vögel wollten sich nun über die Sache besprechen, und an 
einem schönen Maimorgen kamen sie alle aus Wäldern und Feldern 
zusammen: Adler und Buchfinke, Eule und Krähe, Lerche und Sperling, 
was soll ich sie alle nennen? Selbst der Kuckuck kam und der Wiedehopf, 
sein Küster; auch ein ganz kleiner Vogel, der noch keinen Namen hatte, 
mischte sich unter die Schar. Das Huhn, das zufällig von der ganzen 
Sache nichts gehört hatte, verwunderte sich über die große Versammlung. 
„Wat, wat, wat is denn dor to don?" gackerte es, aber der Hahn 
beruhigte seine liebe Henne und sagte: „Luter riek Lüd", erzählte ihr 
auch, was sie vorhätten. Es ward beschlossen, daß der König sein sollte, 
der am höchsten fliegen könnte. Ein Laubfrosch, der im Gebüsche saß, 
rief, als er das hörte, warnend: „Natt, natt, natt! Natt, natt, natt!" 
weil er meinte, es würden deshalb viel Tränen vergossen werden. Die 
Krähe aber sagte: „Quark ok!" — es sollte alles friedlich abgehen.
	        
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