Kleinigkeit! Könnte ich großmütiger, könnte ich uneigennütziger handeln?
— Du lachst, Schäfer? Worüber lachst du denn?"
„O, über nichts; aber wie alt bist du, guter Freund?" sprach der
Schäfer.
„Was geht dich mein Alter an? Immer noch alt genug, dir deine
liebsten Lämmer zu erwürgen."
„Erzürne dich nicht, alter Isegrim! Es tut mir leid, daß du mit
deinem Vorschlag einige Jahre zu spät kommst. Deine ausgebissenen
Zähne verraten dich. Du spielst beit Uneigennützigen, bloß um dich desto
gemächlicher, mit desto weniger Gefahr nähren zu können."
4.
Der Wolf ward ärgerlich, faßte sich aber doch und ging auch zu
dem vierten Schäfer. Diesem war eben sein treuer Hund gestorben, und
der Wolf machte sich den Umstand zu nutze.
„Schäfer," sprach er, „ich habe mich mit meinen Brüdern in dem
Walde veruneinigt, und so, daß ich mich in Ewigkeit nicht wieder mit
ihnen aussöhnen werde. Du weißt, wieviel du von ihnen zu fürchten
hast! Wenn du mich aber anstatt deines verstorbenen Hundes in Dienst
nehmen willst, so steh' ich dir dafür, daß sie keines deiner Schafe auch
nur scheel ansehen sollen."
„Du willst sie also," versetzte der Schäfer, „gegen deine Brüder im
Walde beschützen?"
„Was meine ich denn sonst? Freilich."
„Das wäre nicht übel! Aber wenn ich dich nun in meine Hürden
einnähme, sage mir doch, wer sollte alsdann meine armen Schafe gegen
dich beschützen? Einen Dieb ins Haus nehmen, um vor den Dieben
außer dem Hause sicher zu sein, das halten wir Menschen-"
„Ich höre schon," sagte der Wolf, „du fängst an zu moralisieren.
Lebe wohl!"
5.
„Wäre ich nicht so alt!" knirschte der Wolf; „aber ich muß mich
leider in die Zeit schicken." Und so kam er zu dem fünften Schäfer.
„Kennst du mich, Schäfer?" fragte der Wolf.
„Deinesgleichen wenigstens kenne ich," versetzte der Schäfer.
„Meinesgleichen? Daran zweifle ich sehr. Ich bin ein so sonder¬
barer Wolf, daß ich deiner und aller Schäfer Freundschaft wohl
wert bin."
„Und wie sonderbar bist du denn?"
„Ich könnte kein lebendiges Schaf würgen und fressen, und wenn
es mir das Leben kosten sollte. Ich nähre mich bloß mit toten Schafen.
Ist das nicht löblich? Erlaube mir also immer, daß ich mich dann und
wann bei deiner Herde einfinden und nachfragen darf, ob dir nicht —"
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