Full text: [Teil 4 = 8. u. 9. Schulj, [Schülerbd.]] (Teil 4 = 8. u. 9. Schulj, [Schülerbd.])

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der See. Und auch in ähnlicher Weise wohltuend, denn er kühlt 
die Stirn und schläfert ein; er beruhigt das stadtmüde Auge, das 
dem blendenden Sonnenbrand auf dem Asphalt der öden Straßen 
endlich entflohen ist. O, du sommerliches, grünes Meer des Binnen— 
landes, wie schön bist du! 
2. Zwischen dem wogenden Spiel der Gräser erscheinen überall 
verstreut die bunten Farbenflecke der Blumen. Der goldgelbe Ginster 
am Wiesensaum und die orangegelbe Heidepflanze Arnika, das 
Bergwohlverleih unsrer Alpen, der Wundklee und das bleiche 
Wiesenschaumkraut, die niedrige Distel und hie und da das edle 
Knabenkraut, die deutsche Orchidee mit ihren süßduftenden, rot— 
violetten Blüten und den dunkelgefleckten Blättern. Dazwischen 
öffnen die Sternenblumen der Margareten und Kamillen ihre weißen 
Kelche, oder ein verstecktes Vergißmeinnicht und schwankende wilde 
Wicken an nickenden, dünnen Stielen. Hie und da noch ein gelbes 
Fingerkraut und an feuchten Stellen der goldgelbe Hahnenfuß, der 
nahe Verwandte jener großen Dotterblumen, die im ersten Früh— 
ling wie goldene Straßen an allen Bächen und Gräben unsrer 
Wiesen entlang laufen. Jenes glänzende Gold ist jetzt längst dahin, 
verblüht und untergegangen im alles überflutenden Meere der 
Gräser. 
3. Der Gräser Menge ist nicht zu zählen. Da gibt es Roggen 
und weiche Trespen, blaugrüne Buntschwingel, in borstigen Horsten 
stehend, duftendes Ruchgras und haarfeine Drahtschmiele, Schiller— 
gras und Hasenpfoten. Sie wiegen sich und neigen sich zueinander 
im lustigen, sorglosen Sommerreigen ihres kurzen Lebens. Denn 
eines Tages wird der Sensenmann kommen, und dann wird sich 
mein Meer verändern und verwandeln. Es blinkt die Sense, ein 
schläfriges Dengeln klingt durch den Sommertag, dann rauscht das 
Gras und fällt. Die zitternde Welle wird umgelegt, sie erstarrt 
und ruht in aufgehäuften Schichten, noch im Tode schön und 
duftend und sommersegensvoll ohnegleichen. Und nun erscheint 
die Fläche des Wiesenmeeres wieder tief smaragdengrün, aber 
regungslos; denn in dem kurzgeschnittenen Samtgras spielt kein 
Windhauch mehr. 
4. Aber heute ist's noch nicht so weit, und alle die bunten Blumen 
denken noch nicht an den Sensenmann. Drüben am jenseitigen 
Ufer stehen die Kiefernstämme rötlich zwischen tiefgrünen Laub— 
bäumen, und die Mittagsonne breitet ihren Zauber über die weite, 
stille Fläche. Das ist die heimliche, verwunschene Stunde im Mit— 
tagsglast eines Hochsommertages; da wage dich nicht allein hinaus
	        
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