Full text: Deutsche Prosa und Poesie (Teil 4, [Schülerbd.])

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hatten," — und die Erzählerin reichte ihrem Gaste die Hand, der sie 
schweigend drückte; „ich habe den Spruch seitdem nicht mehr vergessen. Es 
stand nun fest in mir, daß ich das Geld geben mußte. — Aber als ich 
dann aus dem hellen Sonnenschein in unser großes, dunkles Haus trat, 
fiel es mir doch wieder schwer aufs Herz, so daß ich's nicht von mir 
bringen konnte bis auf den Abend. Als die Herren in der Oberstube 
an ihren: L'Hombre saßen, ging ich hinab in den Laden. Ehrenfried 
stand an der Bank und zählte Nägel in Pakete, was sonst der Lehrling 
zu tun hatte, aber der war zu seinen Eltern über Land. Ich erschrak 
fast, da ich seine Stimme hörte. „Nun, Meta," sagte er, „wo hast du 
denn gesteckt! Der Steinmetz ist bei mir gewesen von wegen dem Hause, 
und morgen — wird alles in Richtigkeit kommen." — Es schoß mir in die 
Knie, und ich zitterte; denn er sah so seelenvergnügt dabei aus. Ich 
vermochte nur stumm den Kopf zu schütteln. „Was fehlt dir, Meta?" 
fragte er. „Nichts fehlt mir, Ehrenfried; aber wir dürfen das Haus 
nicht kaufen." Und als er mich erstaunt ansah, erzählte ich ihm alles, 
und was ich zu tun entschlossen war. Aber währenddessen wurde sein 
Gesicht immer ernster und strenger; und als ich zufällig niederblickte, sah 
ich, daß er sich mit dem Eisenstifte, den er in der Hand hielt, den Dau- 
men blutig gerissen hatte. „Und du willst das Geld geben?" fragte er, 
und feine Stimme klang so gleichgültig, als gehe das ihn selber gar 
nicht an. „Ja, Ehrenfried, ich kann nicht anders." — „Nun freilich, 
Meta; dann reicht's nicht mehr." — Er schwieg und begann wieder seine 
Nägel einzuzählen. „Ehrenfried," sagte ich, „sprich doch zu mir; wir 
hatten's für uns beide bestimmt, du mußt dein Wort mit dazu geben!" 
Aber ich bat umsonst, er sah nicht auf. „Wenn dir dein Bruder näher ist," 
sagte er und begann seine Pakete einzuschlagen und wegzupacken. Indem 
wurde ich nach oben gerufen, und als ich nach einer Stunde wieder in 
den Laden hinabging, war Ehrenfried in seine Kammer gegangen. — 
Nur der Allmächtige weiß, was ich die Nacht mit mir gerungen habe; 
eine Stunde um die andre hörte, ich unten vom Flur herauf die Wand¬ 
uhr schlagen. 
6. Ich konnte mein Leben nicht für meine Freunde hingeben, aber 
das bißchen Silber, Herr Lehrer, das konnte ich doch. Es war ja auch 
nicht um mich, ich sah wie eine Wage vor mir; auf der einen Schale 
war der Name Ehrenfried und auf der andern der meines Bruders. 
Ich sann und sann, bis mir das Hirn brannte, aber es wurde nicht anders, 
wenn die eine Schale sank, so stieg die andre. — Ich mag wohl endlich 
eingeschlafen sein; denn als ich die Augen aufschlug, kam schon die Morgen¬ 
dämmerung durch die kleinen Scheiben, und als ich mich ermunterte, hörte 
ich draußen vor der Kammer auf dem Gange einen Schritt. Mitunter 
blieb es eine Weile an der Tür; dann ging es wieder vorsichtig auf
	        
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