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6. Zwei Briefe an Gleim.
1.
Berlin, den 1. September 1759.
Liebster Freund!
Ich setze in der größten Verwirrung die Feder an. Ich weiß, Sie
werden sich alle Posttage nach einem Briefe von mir umsehen; ich muß
Ihnen also nur schreiben, ob ich Ihnen gleich auch jetzt noch nichts
ganz Zuverlässiges von unserm teuersten Kleist melden kann.
Herr von Brand ist bei der Armee des Königs gewesen und vor¬
gestern abends wieder zurückgekommen. Er hatte sich genau nach
unserm Freunde erkundigt und von dem Obersten von Kleist, seinem
Vetter, erfahren, daß er sich in Frankfurt noch bis dato befände. Er
soll nicht mehr als sechs Wunden haben. Der rechtschaffne Mann!
Er hat sich — und das hat nicht allein der Oberste, sondern das haben
ihm noch viele andre Offiziere gesagt —- an dem unglücklichen Tage
außerordentlich hervorgetan. Er hat die ersten Wunden gar nicht ge¬
achtet, sondern ist vor seinem Bataillon noch immer zu Pferde ge¬
blieben; und als er endlich gestürzt, hat er noch auf der Erde seinen
Leuten zugerufen und sie aufs beste angefeuert. Doch auch hier
hat alles nichts helfen wollen; er hat müssen auf der Wahlstatt liegen
bleiben und ist so, nebst allen andern Schwerverwundeten, den Russen
in die Hände gefallen.
Gestern erhielten wir Nachricht, daß die Russen Frankfurt ver¬
lassen hätten. Sie haben sich nach Guben gezogen, um sich mit den
Österreichern zu vereinigen. Ich schrieb also gleich, nebst dem Herrn
Professor Sulzer, nach Frankfurt. Aber kaum war mein Brief fort,
so machte man mich besorgt, daß ich ihn wohl würde vergebens
geschrieben haben. Herr Venin nämlich, der gleichfalls bei der
Armee gewesen ist, will da für gewiß erfahren haben — kaum kann
ich es Ihnen schreiben, aber ich muß — er will erfahren haben, daß
unser liebster Freund bereits an seinen Wunden gestorben sei. Noch
mehr; heute ist ein Journal von dem, was sich von Tag zu Tag wäh¬
rend der Anwesenheit der Russen in Frankfurt daselbst zugetragen hat,
hier angekommen, und auch in diesem Journal soll es mit angemerkt
stehen, daß ein Major Kleist daselbst begraben worden. — Nun hören
Sie, womit ich mich noch tröste. Es sind mehr Majore Kleist, und ich
weiß auch gewiß, daß noch ein andrer Major Kleist, ich kann mich
nicht gleich erinnern, von welchem Regimente, mit dem unsrigen ein
gleiches Schicksal gehabt hat. Dieser wird gestorben sein und nicht
unser Kleist. Nein, unser Kleist ist nicht gestorben: es kann nicht