Full text: Vom westfälischen Frieden bis zur Befreiung Europa's (Bd. 7)

212 Zweiter Zeitraum. 
vahin, allenthalben Verzweigungen der Brüdergemeinde an- 
zupflanzen, in welche der noch gesunde Theil der Lutheraner 
aͤufgenommen werden sollte, waͤhrend der ungleich größere, 
unheilbare Rest in sich selbst verkommen möge. Die lutheri⸗ 
sche Kirche sollte nach seinem Ausdruck „so ausgesogen, ent⸗ 
a und entwürzet werden, daß nichts als ein bloßes 
Slkelet übrig bleibe.“ Separatistischer Hochmuth lag also 
auch bei ihm zu Grunde. Er ließ sich mehr von dunkeln 
Gefühlen, als von einem erleuchteten Verstande leiten, und 
bas Wesen einer Kirche mit einer geordneten, festen Verfas⸗ 
sung und mit Vorstehern war ihm gleichfalls unbekannt, da 
boch eine solche Kirche eben so nöthig ist zur Erhaltung der 
Einheit in der Lehre, zu einem nachhaltigen Wirken und 
zur Aufbewahrung und Erhaltung der Religion, als die 
Seele hienieden des Leibes als ihres Werkzeuges und ihrer 
Wohnstätte bedarf. 
Die Herrnhuter zählen jetzt etwa 500,000 Seelen in 
Europa, Amerika und Afrika, und sind sehr eingezogene 
Christen. Die meisten ernähren sich durch Handel und Fabrik- 
arbeiten, und thätig, aller Bildung und Geselligkeit abhold, 
hauptsächlich auf Gelderwerb gerichtet, sind sie fast durch— 
gängig wohlhabend. Karten und Würfel sind nicht einmal 
in ihren Gemeinlogis (Gasthöfen) erlaubt, auch keine Tänze 
und Modekleider, am wenigsten Lectüre. Die Brüder kleiden 
sich grau oder braun, die Schwestern tragen glatt anliegende 
Häudchen, und die Farbe des Halsbandes gibt ihren Stand 
zu erkennen. Feuerroth tragen das Halsband die jungen 
Mädchen, blaßroth die ledigen Schwestern, blau die Ehr— 
ftauen, weiß die Wittwen. Nach den Siänden ist die 
Gemeinde in Chöre abgetheilt, das Chor der Kinder, der 
Khaben und Mädchen, der ledigen Brüder und der ledigen 
Schwestern, der Eheleute, der Wittwer und Wittwen. Jedes 
Choͤr hat seinen Chorhelfer, der die Seelsorge versieht, 
und seinen Chordiener zur Versorgung der äüßern Ver— 
hältnisse. Die ledigen Brüder wohnen zusammen in dem 
Brüberhause, die ledigen Schwestern in dem Schwe⸗ 
sterhause; ähnliche Häuser sind in den größeren Orten 
fuͤr bie Kinder, Knaben besonders und Mäbchen besonders, 
iwie auch für Wittwer und Wittwen. Die Erziehung. dei
	        
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