Full text: Vom westfälischen Frieden bis zur Befreiung Europa's (Bd. 7)

König Ludwig XV. 325 
nicht vergessen konnte. Es kamen ihm Thränen in die 
Augen, doöch suchte er sie zu verbergen, aber die Prinzessinn 
sagte: „Lassen Sie diesen Thränen freien Lauf, mein Prinz, 
und fürchten Sie nicht, mich dadurch zu beleidigen; diese 
Thränen zeigen mir vielmehr, was ich zu hoffen habe, 
wenn ich einsi so glücklich bin, Ihre Freundschaft zu ver⸗ 
dienen.“ Und diese verdiente sie bald durch ihr edles Herz 
und ihre seltenen Kenntnisse. Sie verstand außer dem 
Deutschen auch Latein, Italienisch und Französisch, war mit 
der Geschichte vertraut, und zeichnete artig. Sie liebte das 
hãusliche Leben, und wich dem Getümmel des Hofes aus, 
so viel sie nur durfte. Gerade so war der Dauphin gesinnt, 
so daß die Minister hier einmal zwei Charaktere verbunden 
hatten, die Vn zusammen paßten. — Nach der Hofsitte 
mußte die Dauphine am dritten Tage nach der Hochzeit 
das Bildniß ihres Vaters am Arme tragen, und dieses 
war das Bildniß von August IIl., welcher den wackern 
Stanislaus Lescinky aus Polen vertrieben hatte. Man 
lann denken, wie hart solches der französischen Königinn, 
des Stanislaus Tochter, sein mußte. Ein großer Theil des 
verdrießlichen Tages war schon vorüber, ohne daß einer 
jenes Bildniß näher betrachtet hätte, bis endlich die Köni— 
ginn nach ihrer Güte selbst zur Dauphine sprach: „Das 
ist also meine Tochter, das Bildniß des Königs, Ihres 
Baters?“ „Ja Mama — antwortete diese — sehen Sie 
nur, wie ähnlich es ist!“ Und sieh, es war nicht das Bild 
ihres Vaters, sondern des Stanislaus Lescinky, des Vaters 
ihrer jetzigen Schwiegermutter. Die Königinn wurde gerührt, 
auch ihr alter Vater kam herbei, beide umarmten die Dau— 
phine, und liebten von dieser Stunde an ihre Schwieger— 
tochter von ganzer Seele. 
WBald nachher wollte die Pompadour unter die Ehren⸗ 
damen der Königinn aufgenommen werden, und Ludwig 
bewilligte es, obschon solche Ehre nur den Gemahlinnen der 
Prinjen und Pairs gebührte. Bei der Ceremonie küßte die 
Königinn geduldig nach Sitte die Aufzunehmende, als die 
Reihe aber an den Dauphin kam, bot er der Pompadour 
auch die Wange zum Kusse, streckte aber seine Zunge weit 
über ihre Schulter hin. Der ganze Hof sah es, und die
	        
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