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„Wer nicht? Was nicht? die Frau fragt gleich —
Was stierst du so an? Was wirst du so bleich?"
Und er darauf: „Sei still, nur still!
Jch's doch nicht sagen kann, noch will:
Die Sonne bringt's nicht an den Tag!"
Die Frau nur dringender forscht und fragt,
Mit Schmeicheln ihn und Hadern plagt,
Mit süßem und mit bitterm Wort;
Sie fragt und plagt ihn fort und fort:
„Was bringt die Sonne nicht an den Tag?"
„Nein, nimmermehr!" — „Du sagst es mir noch!"
— „Ich sag' es nicht!" — „Du sagst es mir doch!"
Da ward zuletzt er müd und schwach
Und gab der Ungestümen nach:
Die Sonne bringt es an den Tag.
„Auf der Wanderschaft — 's sind zwanzig Jahr —
Da traf es sich einst gar sonderbar.
Ich hatt' nicht Geld, nicht Ranzen, noch Schuh,
War durstig und hungrig und zornig dazu:
Die Sonne bringt es an den Tag.
Da kam mir just ein Jud' in die Quer;
Ringsher war's still und menschenleer.
Du hilfst mir, Hund, aus meiner Noth;
Den Beutel her, sonst schlag' ich dich todt!
Die Sonne bringt's nicht an den Tag.
Und er: Vergieße nicht mein Blut;
Acht Pfennige sind mein ganzes Gut!
Ich glaubt' ihm nicht, ich fiel ihn an;
Er war ein alter, schwacher Mann: —
Die Sonne bringt's nicht an den Tag.
So rücklings lag er blutend da.
Sein brechendes Aug' in die Sonne sah;
Da hob er zuckend die Hand empor.
Noch schrie er röchelnd mir ins Ohr:
Die Sonne bringt es an den Tag!
Ich macht' ihn schnell noch vollends stumm
Und kehrt' ihm die Taschen um und um.
Acht Pfenn'ge, das war sein ganzes Geld!
Ich scharrt' ihn ein auf selbigem Feld:
Die Sonne bringt's nicht an den Tag.