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Auch das alte Bad Ems hatte sich neu belebt durch zahlreichen Zuzug aus
allen Teilen der Erde. In dem waldigen, bergumschlossenen Thale, wo die Lahn
ihre klare Flut rheinwärts rollt, umschwirrten die verschiedensten Sprachen die
warmsprudelnden Heilquellen, und vornehme Herren und Damen ergingen sich in
den daran grenzenden Anlagen.
Seit einigen Wochen ragte eine hohe und mächtige Gestalt um Hauptes⸗
länge hervor, ein Greis mit silberweißem Haar und Bart, aber jugendfrisch noch
in seinem Schritt und in seiner ganzen Erscheinung. Meist in einfacher, schwarzer
Kleidung erscheinend, verriet doch seine feste, stramme Haltung auf den ersten Blick
den Soldaten. Ein schärferes Auge entdeckte unter dem einfachen und leutseligen
Wesen des alten Herrn den hochgebornen Fürsten.
Es ist König Wilhelm von Preußen, der alljährlich nach dem anstrengenden,
arbeitsvollen Winter in Ems einige Wochen sich Erholung gönnt. In dem
warmen Sprudel, welcher hier heilkräftig der Thalfohle entquillt, will er sich er—
frischen und stärken zu neuer Arbeit. Die Bewohner des Städtchens wie seine
regelmäßigen Besucher freuen sich jedesmal über seine Ankunft. Jedermann hat
ihn lieb wie einen alten Freund,
Nur wenige Wochen sollte dieses friedliche Stillleben dauern. Wie ein Blitz
aus heiterem Himmel fielen in dasselbe die Bexichte von den leidenschaftlich auf⸗
gärenden Reden in Frankreichs Hauptstadt. Der französische Unterhändler mit
dem glatten Gesichte, der plötzlich im Bade auftaucht, scheint freilich keinen Sturm
zu künden. Aber so oft er sich dem geraden, deutschen Antlitz des Königs genaht,
läßt er darauf Spuren der unmutigen Bewegung zurück. Immer rücksichtsloser
wird die aus Paris ertönende Sprache, in so feine Redensarten sie auch der ge⸗
wandte Botschafter zu kleiden weiß; immer weiter gehen die Forderungen, mit
denen man man den friedlich seiner Kur lebenden Fürsten stört.
Von der Promenade zurückgekehrt, ging der König in seinem Gemache er—
regt mit großen Schritten auf und ab. Vor seiner Seele lebten die Erinnerungen
der alten Zeit wieder auf. Dreiundsechzig Jahren zurück — 1807 am 1. Januar
war der zehnjährige Prinz Wilhelm ins Heer getreten, als seine Familie mit ihm
flüchtig in Königsberg geweilt. Wenig fehlte damals, und der übermütige Korse
haͤtte das Wort gesprochen: Das Haus Hohenzollern hat aufgehört zu regieren!“
Aber auf die Zeiten der Schmach war die Erhebung gefolgt — 1813 — 1814.
Als kaum siebzehnjähriger Jüngling war der jetzt ergraute Mann an der Seite
seines Vaters mit nach Paris gezogen. Und jsetzt — sollten die alten Zeiten
sich erneuern?
Lange sinnend hatte der König so verweilt — jetzt richtete er das Haupt
still und langsam empor. „Gott, du bist mein Zeuge,“ ruft er, „daß ich den
Krieg nicht will; wenn sie mich aber dazu aufs neue zwingen, dann werde ich
ihnen zeigen, daß auch der dreiundsiebzigjährige Mann noch vermag, was einst
der stebzehnjahrige Jüngling vollbracht!
Es klopft an die Thür. Der eintretende Adjutant erbittet für Graf Bene⸗
detti eine Audienz. „Sagen sie dem Grafen, ich hätte ihm nichts weiter mit—
zuteilen,“ erwidert der König mit ruhiger Stimme.
Der 15. Juli war angebrochen. Kurgäste und Emser Einwohner standen
zahlreich um das Kurhaus versammelt. Da erschien der König, zur Reise in seine