Full text: Deutsche Dichter und Prosaiker (Teil 5, [Schülerbd.])

Zweite Periode. 
(Me Zeit.) 
80« den Kreuzzügeu bis zur Reformation. 1147 — 1517. 
Erster Zeitraum. Goröereitungszeit. 1147—1190. 
König Rother. 
(Um 1180.) 
Wie man die Boten Rothers freiläßt. 
Da wandte sich an Dietrich das edle Mägdelein; 
Sie sprach: „Kühner Degen, willst du mein Bürge sein? 
Verzagt sind alle die Helden in meines Vaters Lehn, 
Sie getrauten Rothers Boten nicht im Kampf zu bestehn. 
„Nun gedenke deiner Güte, die du hier oft bewährt, 
Und nimm auf dein Leben die edlen Boten wert. 
Ich will sie nur drei Tage lösen aus der Haft 
Und will sie freundlich pflegen; ihnen schwindet Leben und Kraft. 
„Gerne," sprach da Dietrich, „hehre Königin, 
Ein Werk hoher Milde hast du im Sinn. 
Das ehret dich; mir geht es an Leben nur und Leib; 
Doch gilt hier kein Bedenken; ich will dir bürgen, schönes Weib. 
Da gab man ihm die Boten, er gab sein Haupt zum Pfand. 
Der Kerker ward erbrochen und Licht hinabgesandt; 
Das blendete die Armen, sie waren's ungewohnt; 
Auch mußt' es uns erbarmen, wie sie da unten gewohnt. 
Ihr Stroh gefault, zerrissen die schönen Kleider kurz 
Und klein, die Blöße deckte kaum ein schlechter Schurz. 
Der Helden blüh'nde Leiber zerschunden und zerschwellt; 
Kaum daß wir sie erkannten, so sahn sie bleich und entstellt. 
Erwin war der erste, der aus dem Kerker kam. 
Daß es sein Sohn wäre, als Berchtold das vernahm, 
Da trug er nicht den Anblick, er wandte sich herum. 
Wohl konnt' er nicht weinen; doch rang er die Hände stumm. 
Da gingen auch die andern hervor aus Moderduft, 
Zwölf reiche Grafen stiegen aus der Gruft, 
Und jedem Grafen traten zwölf stolze Ritter nach; 
Doch brauchten sie Führer, sie waren selber zu schwach. 
Den Jammer mußte schauen der edle Dieterich, 
Und durfte doch nicht weinen, denn sonst verriet er sich. 
Die oft geworfen hatten mit ihm der Feinde Heer, 
Die wankten nun wie Schatten so fahl und farblos einher.
	        
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