Full text: Deutsche Dichter und Prosaiker (Teil 5, [Schülerbd.])

4. Per. 2. Zeitr. Friedrich Rückert. 
4. Ich habe gesucht der Arbeit Dach; 
Da hört' ich drinnen nur Weh und Ach! 
5. Ich suchte das Haus der Zufriedenheit; 
! kannt' es niemand weit und breit. 
6. Nun weiß ich noch ein Häuslein still, 
Wo ich zuletzt anklopfen will. 
7. Zwar wohnt darin schon mancher Gast, 
Doch ist für viele im Grab noch Rast. 
Die Gräber zu Ottensen. 
Erstes Grab. 
1. Zu Ottensen auf der Wiese 
Ist eine gemeinsame Gruft; 
So traurig ist keine wie diese 
Wohl unter des Himmels Luft. 
2. Darinnen liegt begraben 
Ein ganzes Volksgeschlecht, 
Väter, Mütter, Brüder, Töchter, Kinder, 
Knaben, 
Zusammen Herr und Knecht. 
3. Die rufen Weh zum Himmel 
Aus ihrer stummen Gruft, 
Und werden's rufen zum Himmel, 
Wenn die Drommet' einst ruft. 
4. „Wir haben gewohnt in Frieden 
Zu Hamburg in der Stadt, 
Bis uns daraus vertrieben 
Ein fremder Wütrich hat. 
5. Er hat uns ausgestoßen 
Im Winter zur Stadt hinaus, 
Die Hungernden, Nackenden, Bloßen, 
Wo finden wir Dach und Haus? 
6. Wo finden wir Kost und Kleider, 
Wir zwanzigtausend an Zahl? 
Die andern schleppten sich weiter; 
Wir blieben hier zumal. 
7. Die andern nahmen die Britten, 
Und andre die Dänen auf; 
Wir brachten mit müden Schritten 
Bis hierher unsern Lauf. 
8. Wir konnten nicht weiter keuchen, 
Erschöpft war unsere Kraft; 
Frost, Hunger, Elend und Seuchen, 
Sie haben uns hingerafft. 
9. Ein ungeheuerer Knäuel, 
Zwölfhundert oder mehr; 
Es zieht sich über den Greuel 
Ein dünner Rasen her. 
10. Der deckt nun unsre Blöße, 
Ein Obdach er uns gab; 
Man merkt des Jammers Größe 
Nicht an dem kleinen Grab." 
Zweites Grab. 
11. Zu Ottensen an der Mauer 
Der Kirch' ist noch ein Grab, 
Darin des Lebens Trauer 
Ein Held gelegt hat ab. 
12. Geschrieben ist der Namen 
Nicht auf den Leichenstein; 
Doch er samt seinem Samen 
Wird nie vergessen sein. 
13. Von Braunschwcig ist's der Alte, 
Karl Wilhelm Ferdinand, 
Der vor des Hirnes Spalte 
Hier Ruh' im Grabe fand. 
14. Der Lorbeerkranz entblättert, 
Den ans dem Haupt er trug, 
Die Stirn vom Schlag zerschmettert, 
Der ihn bei Jena schlug; 
15. Nicht, wo er war geboren, 
Hat dürfen sterben er; 
Von seines Braunschweigs Thoren 
Kam irrend er hierher; 
16. Umirrend mit den Scherben 
Des Haupts von Land zu Land, 
Das, eh es konnte sterben, 
Erst allen Schmerz empfand; 
17. Das erst noch mußte denken 
Der Zukunft lange Not, 
Eh es sich durfte senken 
Beschwichtigt in den Tod. 
18. Jetzt hat sich's hier gesenket; 
Doch hebt sich's, wie man glaubt, 
Noch aus der Gruft und denket, 
Das alte Feldherrnhaupt. 
19. Da sieht es die Befreiung x 
Nun wohl auf deutscher Flur, 
Doch auch von der Entweihung 
Die unvertilgte Spur. 
20. Da sieht es der Zwölfhundert 
Grabstätte sich so nah 
Und ruft wohl aus verwundert: 
„Ein Feldherr ward ich ja! 
21. O Feldherrnamt, wie grausend! 
Um mich, den Feldherrn, her 
Gelagert sind die Tausend, 
Ein großes Schmerzenheer. 
22. Euch hat auf andern Pfaden, 
Und doch aus gleichem Grund, 
Der Tod hierher geladen; 
Ihr seid mit mir im Bund. 
23. Daß ohne Totenhemde 
Ihr auf den Gräbern sitzt, 
Das schmerzt mich, weil der Fremde 
Noch geht in Purpur itzt.
	        
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