Full text: Deutsche Dichter und Prosaiker (Teil 5, [Schülerbd.])

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2. Per. 3. Zeitr. Hugo von Trimberg. 
Hugo von Trimberg. 
(1260-1309.) 
Aer Kenner. 
Von dem größten Thoren. 
(Eine Märe.) 
Ein weiser Mann in Krankheit 
lag, 
Und jetzt war kommen ihm der Tag, 
Daß er nicht länger sollte leben. 
Hin und her hieß er da geben 
Sein Gut durch Gott, wie manche 
Leute 
Auf ihrem Todbett' thun noch heute. 
Einen Sohn hatt' er, den gab er do 
Wohl zehn Mark und sprach also: 
„Mein lieber Sohn, erhalte mir 
Deine Treu, und laß auch dies bei 
dir 
Liegen, bis daß dir wird bekannt 
Der größte Thor über alles Land; 
Dem gieb es und gedenke mein." 
Er sprach: „Ja, Vater, das soll 
sein." 
Nach der Rede der Mann verschied. 
Der Sohn sich manch Jahr wohl 
beriet, 
Wem er das Silber wollte geben. 
Man nannt' ihm manches Dummen 
Leben, 
Auch manchen Thoren hin und her; 
Den nannt' ihn dieser, diesen der; 
Er kehrte wenig sich daran. 
Zuletzt da kam ein fremder Mann 
Von fremden Landen; den fragt er, 
Wer Herr in seinem Lande wär'. 
Er sprach: „Wir haben alle Jahr, 
Herr, einen König, das ist wahr, 
Der thut alles, was er will, 
Nach Herzenslust bis an das Ziel, 
Da sein Jahr ein Ende hat; 
Dann tritt ein andrer an seine Statt, 
Und ihm schlägt man dann ab sein 
Haupt. 
Wenn Ihr das jetzund mir nicht 
glaubt, 
Herr, so fahret mit mir dar 
Und nehmt der Wahrheit selber wahr; 
Wir kommen eben hin zur Zeit, 
Wenn sein Tod dem König ist bereit, 
So sehet Ihr, wie es geziemt, 
Wenn dann sein Reich ein andrer 
nimmt. 
Der Jüngling fuhr mit ihm dahin; 
Da ließ der Mann bald sehen ihn, 
Wie es dem alten König ging, 
Und daß ein andrer sein Reich em¬ 
pfing. 
Zu dem nun ging er hin und sprach: 
Als er ihn dort gekrönet sah: 
„Nimm hin mein's Vaters Seelen¬ 
geräte (Vermächtnis); 
Ich meinte nicht, daß die Welt hätte 
So große Thoren je behalten! 
Was Ehren willst du danach walten, 
Wenn dir das Haupt wird abge¬ 
schlagen?" 
Dies Beispiel mag man denen 
sagen, 
Die durch Ehre und durch Wollust 
In den ewigen Verlust 
Sich jämmerlich versenken 
Und wenig dran gedenken, 
Daß Leib, Gut, Freud' und Gunst 
Sind bloß ein Nebel und ein Dunst.
	        
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