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42 Deutschland unter Leopold I. (1657—1705).
Die Türken vor Wien (1683).
Der Kaiser Ferdinand III., unter welchem der westfälische
Friede geschloffen wurde, überlebte diesen noch neun Jahre und
that während dieser Zeit Alles, um die tiefen Wunden des Vater¬
landes zu heilen. Er starb im Jahre 1657 und nahm den
Ruhm eines biederen und edelen Fürsten mit in's Grab. Ihm
folgte, da sein ältester bereits zum Kaiser erwählter Sohn Fer¬
dinand IV., plötzlich an den Blattern starb, sein zweiter Sohn
Leopold l. Dieser war ein frommer, gutmüthiger Mann,
allein es fehlte ihm die einem Herrscher so nöthige Selbstän¬
digkeit und Kraft zur Leitung der Staatsverwaltung. Und
mehr als sonst bedurfte Deutschland gerade jetzt eines kräftigen
Regenten, der sich dem stolzen, ländersüchtigen Nachbar, Lud¬
wig XL V., kühn gegenüber stellte. Leopold war ihm aber nicht
gewachsen, wie wir dieses früher gesehen haben.
Nicht mit den Franzosen allein, auch mit den Türken hatte
der Kaiser schwere Kriege zu führen; unb beinahe wäre es
diesen gelungen, selbst bie Haupt stabt Wien zu erobern. Schon
früher hatten sie die herrschenden Unruhen iu Deutschland be¬
sonders zur Zeit des dreißigjährigen Krieges, zu benutzen ge¬
wußt, und mehr als einmal waren diese Erbfeinde des Christen¬
thums von dem Könige eines christlichen Volkes, der selbst den
Ehrennamen „der Allerchristlichste" führte, zu unserem Verder¬
ben herübergelockt worden. Im Jahre 152!) erschienen sie so¬
gar vor den Thoren von Wien unb bebroheten bie Kaiserstadt,
wie wir bieses bereits früher gesehen haben. Noch größer kehrte
die Gefahr unseres Vaterlandes int Jahre 1683 zurück. Da¬
mals herrschten große Unruhen in Ungarn. Das Land klagte
über Verletzung seiner verfassungsmäßigen Rechte, und es kam
zu einer Verschwörung unter einem großen Theile des ungari¬
schen Adels, wobei man nichts Geringeres zu beabsichtigen schien,
als Ungarn von Oesterreich loszureißen. Allein die Verschwörung
wurde entdeckt, und vier der Haupträdelsführer hingerichtet.