179 —
120. Der Mönch auf dem St. Bernhard.
Die Klosterglock' tönt, der Mönch erwacht:
„Mein Bruder, dich trifft die Reihe heut' nacht!“
Und der Bernhard-Mönch im weißen Gewand,
er lockt seinen Hund, nimmt die Leuchte zur Hand.
So eilt er hinaus in die tosende Höh'
und wandelt allein durch Sturm und Schuee.
An der Stätte vorbei, wo Totengebein
der Erfrornen schläft in geschichteten Reih'n,
Die niemand kennt und ihr Grab bekränzt
als der eisige Mond, der die Schädel beglänzt,
Er folgt dem Schall der Glocke zum Grund,
emsig schnüffelt voraus der Hund.
Der Mönch und sein Hund sind nah und fern,
es wehen die Wolken, es glänzt kein Stern.
Nur stürzender Tannen fern Gesaus
hallt über dem einsamen Abgrund aus.
Manch Kind, das erstarrt im Mutteram,
und manch ein Wanderer müd und arm;
Das Herz, das schon am Leben verzagt
und das die Schuld über Berge gejagt;
Wer immer es sei, wen die Nacht überrascht,
wen der Sturm und die Lawine erhascht,
Wer mit wankendem Fuß am Abgrund hangt,
einen Strauch, eine Wurzel am Felsen erlangt:
Der Mönch und sein Hund sind nah und fern,
die Retter der Menschen, der Hilflosen Stern.
Hermann Lingg.
121. Hans Euler.
Horch, Marthe, draußen pocht es; geh, laß den Mann herein;
es wird ein armer Pilger, der sich verirrte; sein! —
„Grüß Gott, du schmucker Krieger! nimm Platz an unserm Tisch;
das Brot ist weiß und locker, der Trant ist hell und frisch!“
„Es ist nicht Trank, nicht Speise, wonach es not mir thut;
doch, so ihr seid Hans Euler, so will ich euer Blut!
Wißt ihr, vor Monden hab' ich euch noch als Feind bedroht;
da hatt ich einen Bruder, den Bruder schlugt ihr tot.
Und als er rang am Boden, da schwur ich es ihm gleich,
daß ich ihn rächen wollte, früh oder spät, an euch!“
„Und hab' ich ihn erschlagen, so war's un rechten Streit,
und konmt ihr, ihn zu ruͤchen, — wohlan! ich bin bereit!
12*