Object: [Teil 2 = 4. und 5. Schuljahr, [Schülerband]] (Teil 2 = 4. und 5. Schuljahr, [Schülerband])

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ist schon sehr hell dort. Jetzt blickt sie hervor hinter einer hohen Mauer, 
die sie verbarg, und in mein Zimmer hinein fällt ein Strahl. Der wird 
zu einem leuchtenden Streifen, welcher langsam vorrückt und eine kleine 
Bahn beschreibt. Währenddessen berührt er verschiedene Gegenstände. 
Er geht über den Blumentisch, und die Blumen wissen nicht, wie ihnen 
geschieht. Es müßte ihnen, denke ich, zu Mut sein wie Kindern, denen 
von Mutterhand geliebkost wird. Dann trifft das Sonnenlicht ein ge¬ 
schliffenes Glas und zaubert mit Hilfe desselben auf die gegenüberliegende 
Wand, die noch lange in Schatten getaucht bleiben wird, ein reizendes 
Farbenwunder: eine Anzahl buntschimmernder, kleiner Regenbogen. 
Weiter geht der Strahl, huscht leise über den Fußboden, gleitet geschickt 
über eine Tischkante hin und gelangt am Ende zu der Wand, die ihm 
ein Ziel setzt. Da sieht er noch flüchtig einige Büchertitel durch und 
verweilt ein paar Augenblicke auf einem Bilde. Es ist merkwürdig und 
überraschend, wie alles, was er erreicht, auf einmal verändert erscheint, 
ln dem leuchtenden Streifen aber flimmert es von den unzähligen Sonnen¬ 
stäubchen, welche wiederzusehen auch ein Vergnügen ist. Sie erinnern 
mich an den Sternhimmel. Die Schöpfung erstreckt sich ja sehr weit ins 
Kleine wie ins Große hinein. Vielleicht ist, was wir ein Sonnenstäubchen 
nennen, auch ein von denkenden Wesen bewohnter Weltkörper. 
Das liebliche Lichtspiel, das ich geschildert, dauert nur kurze Zeit. 
Ein paar Minuten, und alles ist vorbei. Aber die Sonne kommt wieder, 
und mit ihr — wie viel wird wiederkommen: das glänzende Laub und 
die zarten Blumen des Frühlings, der Gesang der Vögel, das flüsternde 
Kornfeld, der rauschende Wald, des Sommers Rosen. 
Das Sonnenlicht fällt nicht nur durch die Fenster in die Wohnung 
des Menschen hinein, sondern auch durch seine Augen in sein Herz. 
Der Mensch muß sich sonnen können im eigentlichen Sinne des Wortes 
wie die Pflanze, und ein schlimmes Geschlecht muß es werden, das ohne 
^onne aufwächst. 
7. Aus dem Storchnest. 
Johannen Trojan. Kleine Bilder. Minden i. W. 1880. J. C. C. Bruns’ Verlag. S. 7. 
Unsere gewöhnliche Frühjahrsreise ist schnell und glücklich von statten 
gegangen. Nachdem wir im Fluge allerlei Länder und Meere gesehen, sind 
wir, meine Frau und ich, wohlbehalten in unserem alten Quartier wieder 
angekommen. Unser Nest befand sich in ziemlich schlechtem Zustand. Ich 
kenne den Winter nicht und weis; nicht, was er eigentlich mit den Nestern
	        
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