Full text: [Bd. 3, [Schülerbd.]] (Bd. 3, [Schülerbd.])

246 II- Das Menschenherz in Lust und Leid: Vaterland und Freiheit. 
Anrede. Wir sehen gleichsam bei des Dichters Worten das Bild der 
Germania als das schöne, stolze Weib, welches er uns schildert. Sie 
ist das personifizierte deutsche Nationalgefühl. 
Im zweiten Teile ändert sich die Scene; das Meer, die Flüsse 
und das Land werden lebendig. Das ganze deutsche Volk in seinen ver¬ 
schiedenen Stämmen ist durch sie personifiziert. Das Haff repräsentiert 
die Preußen und Pommern, der Belt die Schleswiger und Holsteiner, das 
deutsche Meer die Hannoveraner, Oldenburger und Friesen, die Oder die 
Schlesier und Brandenburger, die Elbe die Sachsen und Altmärker, der 
Neckar die Schwaben, die Weser die Thüringer, Hessen und Westfalen, und 
der Main die Bayern und alle Süddeutschen, die ihn nun nicht mehr 
als Grenzfluß zwischen Nord- und Süddeutschland ansehen. 
Im dritten Teile endlich macht sich der Dichter zum Dolmetscher der 
Gefühle, welche beim Beginne des Krieges das ganze deutsche Volk be¬ 
wegen. Zunächst ist es die Zuversicht, welche das deutsche Volk, das 
sich nun vereinigt fühlt, belebt, sodann der Zorn über den Räuber und 
Ruhestörer, ferner der Gedanke an alle die Güter, welche auf dem 
Spiele stehen, und an das Blutvergießen, welches der Krieg im Ge¬ 
folge hat, und endlich die sichere Hoffnung, daß der gerechten Sache 
der Sieg verliehen werden wird. 
Diese Jdeenfolge und diese Mannigfaltigkeit in der Darstellungsweise 
geben dem Gedichte eine große Lebendigkeit, die durch eine gleichmäßige, 
einförmige Darlegung nimmermehr gelungen wäre. 
Ferner hat der Dichter durch Anbringung des Kehrreims, d. i. 
durch die Wiederkehr gleichlautender Wörter, dem Gedichte einen ganz 
besonderen Reiz verliehen. Dieser Kehreim „Hurra! Hurra! Hurra! 
Hurra! Germania!" der nur in der letzten Strophe verändert er¬ 
scheint als: „Hurra, Viktoria! Hurra, Germania!" trägt nicht nur zur 
Abrundung und zu größerer Einheit des Ganzen bei, sondern er ver¬ 
stärkt bei jeder Strophe den Inhalt, da ja bekanntlich „Hurra!" ein 
lauter Freuden- und Kriegsruf der Deutschen seit Jahrhunderten gewesen 
ist und noch heute unwillkürlich von den Kämpfern beim Angriff auf den 
Feind ausgestoßen wird. Es steht also der Kehrreim nicht nur in äußerer, 
sondern auch in innerer Beziehung zu dem Texte des Liedes, wie ganz 
besonders auch an der letzten Strophe, im „Hurra Viktoria!" zu erkennen 
ist. Wie dieser Kehrreim, so klingen auch die übrigen Reime, die alle 
männlich sind, so voll und kräftig an unser Ohr, daß die Wirkung des 
Gedichts dadurch ganz außerordentlich erhöht wird. 
Nicht minder wirkungsvoll ist die Anwendung der vier- und drei- 
füßig jambischen Verse, die den kämpfenden Willen, den drängenden Fort¬ 
schritt auch äußerlich zum Ausdruck bringen. 
Aber auch die Wahl der Worte dürfen wir nicht unberücksichtigt 
lassen; der volle Klang der Tonhebungen mit den Vokalen a, o, u und 
au, die im Gedichte vorherrschend sind, entspricht der Kühnheit und Ent¬ 
schlossenheit der aufgerufenen Kämpfer ebenso wie die in geeigneter Weise 
gewählten kraftvollen Wortverbindungen (Juliglut, frohgemut, Sichelklang,
	        
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