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I. Erster Zeitraum. D. Die Zeit von 1815—1830.
5. Der Himmel kann nicht sehen —
Da schafft er Mädchenaugen,
D, sieht er da und blickt!
6. Die Erde kann nicht lieben —
Da tritt sie her als Jüngling,
O, liebt sie da geschickt!
7. Die Welt kann nicht empfinden —
Da wird ihr Geist zum Menschen,
O, fühlt sie da und strebt!
8. Die Zeit, sie kann nur fliehen —
Da wird sie still zum Kinde,
O, lacht sie da und lebt!
Heinrich Heine,
als Kind Harry genannt, war am 13. Dezember 1799 zu Düsseldorf von jüdischen
Eltern geboren. Sein Vater, Samson Heine, hatte früher als hannoverscher Kriegs¬
lieferant ziemlichen Wohlstand erworben und führte in Düsseldorf als Inhaber
eines Tuchgeschäfts ein behagliches, ja fast verschwenderisches Leben. Die Mutter
war eine geborene van Geldern. An ihr hing Heine zeit seines Lebens mit inniger
Liebe und Verehrung, obwohl er selbst mehr von der genußfrohen, leichtlebigen
Art des Vaters hatte. Während Heines Knabenzeit stand Düsseldorf, die Haupt¬
stadt des Großherzogtums Berg, ganz unter französischem Einflüsse, ein Umstand,
der auf seine Entwickelung und seine späteren Neigungen bestimmend einwirkte
(Schwärmerei für Napoleon in der Jugendballade „Die beiden Grenadiere").
Bis zum Frühjahre 1815 besuchte Heine das Gymnasium, dann that ihn sein Vater
in ein Bankgeschäft in Frankfurt am Main; aber hier blieb er nur kurze Zeit und
siedelte dann (1816) nach Hamburg über, wo er von seinem reichen Onkel Salomon
Heine Förderung hoffen konnte. In der That ermöglichte ihm dieser die Grün¬
dung eines eigenen Geschäfts, aber schon 1818 mußte es seine Zahlungen ein¬
stellen. Nun begab sich Heine, voll Abneigung gegen den kaufmännischen Beruf
und überdies schwermütig durch eine leidenschaftliche, aber unerwiderte Liebe zu
seiner Cousine Amalie Heine (Molly), nach Düsseldorf zurück, um dann, nach eiliger
Vorbereitung auf das Universitätsstudinm, im Herbste 1819 die Universität Bonn
zu besuchen. Er sollte nach dem Willen des Oheims Salomon, der die Mittel
zu dem Studium bewilligte, Rechtswissenschaft studieren und sich später in Ham¬
burg als Advokat niederlassen. Aber weder in Bonn noch in Göttingen oder
Berlin, wo er seit Frühjahr 1821 weilte, machte die Fachwissenschaft die nötigen
Fortschritte; um so mehr zogen allgemeine litterarische Interessen ihn an, wobei in
Bonn besonders der Einfluß A. W. von Schlegels, in Berlin der Verkehr im Hause
der geistvollen Rahel, der Gattin Varnhagen von Enses, und in den: genialen
Kreise des Dichters Grabbe die Entfaltung seiner dichterischen Anlagen begünstigte.
Schon seit 1817 hatten verschiedene Zeitschriften, namentlich der „Gesellschafter
oder Blätter für Geist und Herz", Dichtungen von ihm gebracht; jetzt, 1822, ließ
er seine „Gedichte" erscheinen und fand damit bei Varnhagen und Jmmermann
warme Anerkennung. Im nächsten Jahre folgten „Tragödien, nebst einem
lyrischen Intermezzo", zu welchen ebenfalls wie zu jenen „Gedichten" des
Dichters unglückliche Liebe den Stoff bot. Schon in diesen ersten Liedern treten
die Eigentümlichkeiten der Heineschen Dichtung deutlich hervor: auf der einen Seite
höchste Formvollendung bei aller Einfachheit des Ausdrucks sowie treue Wiedergabe
der mannigfachen Stimmungen des liebenden Herzens, vom Aufblühen des ersten
Glückes bis zur Enttäuschung und Verzweiflung über den Verlust der Geliebten;
auf der anderen Seite jene Weltschmerzstimmung, jene starke Sinnlichkeit, jene jähen
Übergänge aus dem zärtlichen oder wehmütigen Ton in Spott und grinsendes
Lachen. — Inzwischen hatte Heine, im Mai 1823, Berlin verlassen und sich nach
wechselndem Aufenthalte bei den Eltern in Lüneburg, in Hamburg und im Seebade