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Doch düsteren Auges erwidert der Greis:
„Wohl schäumt in der Kelter der Most:
Doch hast du der emsigen Mühe zum Preis
Noch keinen der Tropfen gekost't."
Traue nicht dem falschen Glücke,
Nicht der Hoffnung eitlem Spiel,
Und errangst du schon das Ziel,
Fürchte noch des Schicksals Tücke!
Zwischen Kelch und Kelterbaum
Dehnet sich ein weiter Raum.
Und als nun der Sklave beim schimmernden Mahl,
In finsteres Schweigen gehüllt,
Dem König kredenzte den goldnen Pokal,
Mit heimlichem Grauen erfüllt;
Da rief ihm der König mit fröhlichem Sinn:
„Willkommen, du sinniger Thor!
Wohl bringt mir die Mühe gar süßen Gewinn, —
Was hältst du so zagend empor?"
Doch düsteren Auges erwidert der Greis
Mit Thränen im bleichen Gesicht:
„Wohl bring' ich den Becher auf Königs Geheiß,
Doch trank er des Mostes noch nicht!"
Traue nicht dem falschen Glücke,
Nicht der Hoffnung eitlem Spiel,
Und errangst du schon das Ziel,
Fürchte noch des Schicksals Tücke!
Zwischen Lipp' und Kelchesrand
Schwebt der finstern Mächte Hand.
Schon fasset der König den goldnen Pokal
Und hebet ihn lächelnd empor;
Da stürzen die Winzer durchs hohe Portal,
Ein Diener tritt zitternd hervor:
„Herr König, ein Eber verwüstet mit Wut
Den Weinberg, so emsig gepflegt,
Schon röcheln die rüstigen Jäger im Blut,
Vom schnaubenden Keiler erlegt."
Auf reißt sich der König und fordert den Stahl
Und schwinget die Lanze mit Mut;
Doch trank er nie mehr aus goldnem Pokal, —
Es saugte die Erde sein Blut.
Traue nicht dem falschen Glücke,
Nicht der Hoffnung eitlem Spiel,
Und errangst du schon das Ziel,
Fürchte noch des Schicksals Tücke!
Zwischen eins und noch einmal
Niederflammt des Blitzes Strahl.
Friedrich Kind.