Full text: [Teil 8 = (9. Schuljahr), [Schülerband]] (Teil 8 = (9. Schuljahr), [Schülerband])

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sie. Der Abend löschte die kleinen Lichter auf den Firnen und ließ 
nichts übrig als die wand des weißen Gebirges und den dämmernden 
Untergrund des Himmels. In solcher Beleuchtung kann das Gebirge 
geradezu unheimlich poetisch sein, melancholisch, eine beseelte Masse, 
die nur das eine fragt: wer bist aber du? An solchen Abend 
im dämmernden Gebirge erinnert der Abend, der jetzt über 
der Uundfläche von Paris sich niedersenkt, wir auf der höhe 
haben noch Sonnenstrahlen, aber die Menschheit dort unten 
hat nur noch das gebrochene Licht der einzelnen schwebenden leuch¬ 
tenden Wolken, vor kurzem noch war ganz Paris geradezu verklärt, 
purpurn begossen, unerhört bunt in aller seiner Größe, Farben des 
glühenden Herbstwaldes auf allen grauen Balkgeländen. Das grüne 
Bupferdach der Madeleinekirche war wie smaragdene Lmail auf Perl¬ 
muttergrunde, die Große Oper hob sich brennend heraus, die Notre- 
damekirche streckte ihre zwei unvollkommenen Türme in den sanften 
Purpur hinein, der vom Louvre an die Leine bis hinter den Bahnhof 
von Lyon begleitete. Man kann es nicht erzählen, was solche Augen¬ 
blicke alles bieten. Das Unerzählbare ist die Unendlichkeit der Flächen, 
die um einen letzten Kuß der Lonne baten, was weiß ich, was in 
diesen Minuten das Lchönste war? vielleicht gefällt es dem Auge, 
eine beliebige beleuchtete Baserne für goldener zu halten als alles 
andere. Das war das Alpenglühen der Biesenstadt. Nun aber ist es 
vorbei, die Türme der Birchen sind in die Häusermassen hineingesun¬ 
ken, bleierner Dunst kommt vom Osten her gezogen und verschleiert 
Ltück für Ltück die waldstriche, Hügel, Ltraßen und Brücken des Ostens. 
Der Fluß wird grau und blaß, und selbst die Birche drüben auf dem 
Montmartre hört aus zu leuchten. Die Farben werden kalt, wie dunkle 
Wolle liegen Parks und Baumreihen zwischen den bleichen häuser- 
geoierten. Boulogne versinkt, die Lisenbahnbrücke nach Versailles ver¬ 
schwindet, und unten, zu Füßen, beginnen die Lampen. Dies alles 
und noch vieles mehr macht einen tiefen, fast schwermütigen, großen 
Gesamteindruck. Ts ist, als ob die Berge ringsherum wie Mauern 
ständen und sich in einer Sprache unterhielten, die ich nicht verstehe, 
als ob die Häuser alle, die hunderttausend Häuser, noch etwas sagen 
wollten, es aber nicht könnten. Line Tageslast der Weltstadt ist zu 
Ende. Diesen Abend zu sehen, ist aber das Größte, was in Paris zu 
sehen ist. Friedrich Naumann. 
50. Italien. 
wenn der Nordeuropäer einen der Alpenpässe, die nach Lüden 
führen, übersteigt, dann empfängt ihn eine neue, anders gebildete 
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