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Denn niemand wagt' es diesen oder den
Zu küren mit dem Hellen Nus der Wahl,
Um nicht am andern Unrecht zu begehn,
Noch aufzuregen Eifersucht und Zwist, —
Da sah man plötzlich, wie die beiden Herrn
Einander herzlich faßten bei der Hand
Und sich begegneten im Bruderkuß;
Da war es klar, sie hegten keinen Neid,
Und jeder stand dem andern gern zurück.
Der Erzbischof von Mainz erhub sich jetzt!
„Weil doch" — so rief er — „einer es muß sein,
So sei's der ältere!" Freudig stimmten bei
Gesammte Fürsten und am freudigsten
Der jüngre Kunrad; donnergleich erscholl,
Oft wiederholt, des Volkes Beifallsruf.
Als der Gewählte drauf sich niederließ,
Ergriff er seines edlen Vetters Hand
Und zog ihn auf den Königssitz.
Und in den Ring der Fürsten trat sofort
Die fromme Kaiserwitwe Kunigund;
Glückwünschend reichte sie dem neuen König
Die treu bewahrten Reichskleinode dar.
Zum Festzug aber scharten sich die Reihn,
Voran der König, folgend mit Gesang
Die Geistlichen und Laien; so viel Preis
Erscholl zum Himmel nie an einem Tag;
Wär' Kaiser Karl gestiegen aus der Gruft,
Nicht freudiger hätt' ihn die Welt begrüßt.
So wallten sie den Strom entlang nach Mainz,
Woselbst der König im erhabnen Dom
Der Salbung heil'ge Weihe nun empfing.
Wen seines Volkes Ruf so hoch gestellt,
Dem fehle nicht die Kräftigung von Gott!
Und als er wieder aus dem Tempel trat,
Erschien er herrlicher als kaum zuvor,
Und seine Schulter ragt' ob allem Volk.
__ > Uhland.
43. Die Femgerichte.
Ausserordentliche Zeiten wie jene, wo alles gegeneinander
kämpfte, der Kaiser gegen den Papst, die Fürsten gegen den Kaiser,
die Ritter gegen den Bürger und wiederum Glieder eines Standes
sich befehdeten, — solche Zeiten machten auch ausserordentliche
Mittel nötig, um das Recht und die Gerechtigkeit zu schützen.
Im Mittelalter bestanden durch ganz Deutschland furchtbare
heimliche Gerichte, die grobe Verbrecher aller Art vor ihren
Richterstuhl zogen und, wenn sie sich nicht genügend rechtferti-