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s. Die große feindliche Gegenoffensive.
damit mußte bann die ganze Front bis Verdnn und darüber hinaus ins Wanken
fommen1).
Die Sorge in England und Frankreich war aufs höchste gestiegen. Man fürchtete für
Paris, man fürchtete ein Vorbrechen über Amiens an die Kanalküste, man fürchtete den
Verlust des ganzen Landkrieges. Ingrimmig erklärten die führenden englischen Zeitungen:
Selbst wenn der Landkrieg verlorenginge und Frankreich zusammenbräche, so sei der Krieg
doch noch nicht zu Ende; England würde ihn als Seekrieg fortsetzen. Und Amerika drohte, wenn
auch Frankreich und England Frieden machen würden, so würde Amerika allein weiterkämpfen.
In dieser höchsten Not der Feinde brachte ihnen die groß angelegte Offensive Fochs die Rettung.
5.
Die große feindliche Gegenoffensive
(18. Juli bis 11. Hovember 1918.)
h) Bis zur Erreichung der Siegfriedstellung (18. Juli bis 8. Sept. 1918).
Die deutsche Offensive „beiderseits Reims" (15. bis 17. Juli) mußte leider schon § 64
nach zwei Tagen abgebrochen werden, und Ludendorff selbst erklärte sie als mißglückt,
da ihre Ziele nicht erreicht worden waren. Schon am anderen Tage, am 18. Juli,
setzte eine heftige feindliche Gegenoffensive ein, und zwar gegen die West¬
flanke des Marnesacks. Sie schien zunächst den beschränkten Zweck zu haben, Reims
zu entlasten, damit dieser wichtige feindliche Stützpunkt nicht in deutsche Hände
falle. Bald aber stellte sich heraus, daß es sich hier um nichts weniger als um
den ersten Akt einer weitausgreifenden, lange und sorgsam vorberei¬
teten selbständigen feindlichen Riesenoffensive handle, einer Offensive, die
sich bald auf eine Front von 150 km (von Arras bis Reims) ausdehnte, also einen
Umfang annahm wie nie zuvor eine andere.
Es wurde immer klarer, daß wir mit unseren vier Frühjahrsoffensiven (gegen Amiens
im März, beiderseits Armenti6re§ im April, an der Aisne—Marne im Mai unb beiderseits
Reims im Juli) bieser feinblichen Riesenoffensive zuvorgekommen waren. Es ist wohl
kaum zu bezweifeln, baß Hinbenburg diese bebrohliche feinbliche Offensive kommen sah
unb seinerseits rasch zu einer Offensive schritt, um bie feinblichen Pläne zu stören, zu ver-
toirren, hinauszuschieben unb abzuschwächen unb schon im voraus dem Gegner so viel Gelänbe
zu entreißen, als zu erobern ihm vielleicht beschieben sein könnte, so baß nach wie vor bie
Hinbenburglinie bie Scheibe zwischen Freunb unb Feinb bliebe, letzterer also in Wirklichkeit
keinerlei Geländegewinn zu buchen haben würde, wohl aber die ungeheuren Verluste, bie
die Rückeroberung bes als Prellbock im vorweg von uns eroberten Gebietes kosten würbe.
Also bevor ber Feinb bazu kam, seinen geplanten Ansturm gegen bie Hinbenburglinie
zu unternehmen, sollte er sich bereits in dem verwüsteten Gelände vor dieser Linie ver¬
bluten. (Und selbst, wenn die deutschen Offensiven nicht in diesem Sinne gemeint waren
[denn über Hindenburgs Absichten dabei weiß natürlich niemand etwas], so haben sie doch in
der Wirkung diesen ungeheuren Wert gehabt.)
1. Der erste Offensivstoh des Feindes, beginnend am 18. Juli, galt unserem
Marnesaü. Foch wollte in der Richtung Soissons—Vailly, also aisneaufwärts, nach
*) Die' Gesamtbeute der vier deutschen Offensiven betrug 212 Taus. Gefangene, 2800
Geschütze unb mehr als 8 Taus. Maschinengewehre.
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