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reich, tüchtig und unternehmend. Noch waren Handwerk und Handel in
starkem Gedeihen; noch hatte der deutsche Heringsfang große Bedeutung;
noch waren die ungeheuern Slavenländer des Ostens auch dem Landverkehre
ein offener Markt. Und in dem weiten Reiche selbst blühte die Industrie,
und ein weniger gewinnreicher, aber gesünderer Export der Landesprodukte
hatte einen mäßigen Wohlstand allgemeiner gemacht. Die Woll- und Leder- fr
arbeiten, Leinwand, Harnisch und Waffen, die zierliche Industrie Nürnbergs
wurden vom Auslande eifrig begehrt. Fast jede Stadt hatte damals eine
besondere Handwerksindustrie, massenhaft unter Zucht und Kontrolle der
Innungen entwickelt. Töpfe, Tuche, Lederarbeit, Bergbau, Metallarbeit
gaben den einzelnen Orten eine besondere Physiognomie, auch kleinern
einen Ruf, der weit durch das Land reichte und den Bürgern zu wahl¬
berechtigtem Stolze half. In allen aber, kaum die größten ausgenommen,
hatte der Ackerbau mehr Wichtigkeit als jetzt. Nicht nur in den Vorstädten
und Vorwerken des Stadtgrundes, auch in der innern Stadt lebten viele
Bürger von Ackernahrung. In kleinen Städten hatten die meisten Eigentum
in der Stadtflur, die Reichen wohl auch außerhalb. Deshalb waren in
den Städten viel mehr Nutz- und Spanntiere als jetzt, und die Hausfrau
erfreute sich eines eigenen Kornbodens, von dem sie selbst das Brot buk
und wenn sie geschickt war, landesübliches feines Backwerk verfertigte.
Auch an dem Weinbau hatten die Städter großen Anteil. Die Brau¬
gerechtigkeit galt für einen wertvollen Vorzug einzelner Häuser. Fast jeder
Ort braute das Bier auf eigene Art; unzählig sind die lokalen Namen des
uralten Getränkes. Auf Kraft, süßen Weingeschmack und öligen Fluß wurde
viel gehalten. Geschätzte Biere wurden weit versandt.
Größer als jetzt war das sinnliche Behagen im Volke, lauter und
unbefangener die Fröhlichkeit. Auch der Luxus der Gastmähler, zumal bei
Familienfesten, war nach dem Range der Stadtbürger gesetzlich bestimmt;
auch er war durch Verordnungen nicht einzuschränken. Es wurde in
Gängen aufgesetzt, bei jedem Gange eine Anzahl ähnlicher Gerichte. Längst
wurden die Austern so weit versandt, als sie die Reise ertragen wollten,
zumal seit dem Eindringen der französischen Kochkunst zu feiner Sauce
verwendet; Kaviar war wohlbekannt, und in der Herbstmesse waren Leipziger
Lerchen ein berühmtes Gericht. Noch hatte in der volkstümlichen Küche &
außer den indischen Gewürzen die Lieblingswürze des Mittelalters, der
Safran, viel zu färben; noch wurden schönverzierte Schaugerichte hoch
gepriesen; zuweilen wurden auch eßbare Speisen vergoldet aufgesetzt, und
der Marzipan war an anspruchsvoller Tafel das vornehmste Konfekt.
Eifrig suchte der Bürger jede Gelegenheit, sich gesellig zu vergnügen.
Fastnachtsmummereien waren auch im nördlichen Deutschland allgemein;
dann schwärmten die Masken durch die Straßen; das Lieblingskostüm war:
Türken, Mohren, Indianer. Nicht weniger beliebt waren die Schlittenfahrten,
zuweilen auch sie in Kostüm. Weit seltener als jetzt war der öffentliche