Full text: Deutsches Lesebuch für Mittel- und Fortbildungsanstalten und ähnliche Lehranstalten

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301 
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Zweiter Teil. 
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1. 
1. Iykurg. 
In Sparta regierten immer zwei Könige zugleich; doch riß im 
Laufe der Zeit eine so große Verwirrung und Gesetzlosigkeit ein, daß einst 
in einem Aufruhr ein König ermordet wurde. Es folgte ihm sein ältester 
Sohn, und da auch dieser bald starb, übernahm Lykurg die Regierung. 
Als aber der Gemahlin des verstorbenen Königs ein Knabe geschenkt 
wurde, trat er diesem die Regierung sogleich ab und betrachtete sich nur 
als Vormund des unmündigen Königs. Wiewohl sich nun Lykurg durch 
seine Uneigennützigkeit und Gerechtigkeitsliebe die Zuneigung und das 
Vertrauen der guten Bürger erworben hatte, so fehlte es doch auch 
nicht an solchen, die ihn anfeindeten und verleumdeten, als strebe er für 
sich selbst nach der Herrschaft. Um diesem Verdachte zu entgehen, ging 
Lykurg mehrere Jahre auf Reisen. Unterwegs lernte er die Einrichtungen 
anderer Völker kennen, ebenso die Gedichte Homers, die er bei seiner 
Zurückkunft mit nach Griechenland brachte. 
In Sparta nahmen inzwischen Unzufriedenheit und Unordnung über— 
hand, so daß sich die Spartaner und die Könige selbst nach dem Lykurg 
fehnten. Er kehrte daher zurück und dachte sofort an die Ausführung 
seiner lange gehegten Absicht, die Spartaner durch neue Gesetze von der 
Zwietracht und Zerrüttung, die im Staate herrschte, zu befreien. Da er 
aber wußte, in welchem Ansehen die Aussprüche des delphischen Orakels 
bei seinen Mitbürgern standen, reiste er zuvor nach Delphi, um das 
Orakel zu befragen, ob die Gesetze, die er den Spartanern geben wolle, 
dem Staate heilfam wären. Das Orakel sagte ihm, daß er den Spar— 
tanern die beste von allen Verfassungen geben würde. Durch diese Ant⸗ 
wort ermutigt, besprach er sich mit seinen Freunden über die neuen 
Gesetze und forderte sie zur Mitwirkung auf. 
Zuerst setzte Lykurg den Rat der Alten ein, welcher aus achtund⸗ 
zwanzig Mitgliedern, die das sechzigste Jahr zurückgelegt und ein tadel⸗ 
loses Leben geführt haben mußten, und aus den beiden Königen, also 
aus dreißig Personen bestand. Merkwürdig war die Art und Weise, 
wie die neuen Mitglieder dieses Rates gewählt wurden. Auserlesene 
Männer schlossen sich in ein Haus ein, von dem aus sie alles hören, 
aber nicht sehen konnten, was draußen in der Volksversammlung vorging.
	        
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