77
die kleine Kammer, in welcher sie des Nachts schlief, füllig. Zwar machte
ihr diese Schuld nicht gerade großen Kummer; denn sie wohnte bei
armen Leuten, die selbst den Mangel und die Not nur zu gut kannten,
und die deshalb mit der noch ärmeren Alten Nachsicht hatten bis auf
bessere Zeiten. Aber der Mann, von dem sie die Spielsachen und die
bunten Bilder bezog, war, obwohl reich, doch harten Herzens. Er hatte
gedroht, wenn Else die für ihn unbedeutende Schuld nicht zahlen würde,
ihr gerichtlich die Bude zu verkaufen, sie selbst aber in den Schuldturm
sperren zu lassen.
So saß sie denn ganz sorgenvoll da, das Haupt gebeugt, die
hageren Hände gefaltet. Draußen aber zwitscherte die Lerche recht fröh—
lich, denn der Frühling war gekommen; aber ihr ward immer weher
ums Herz, denn sie wünschte sich sehnlich dorthin, wo ihr braver Mann
und ihre Kinder längst ruhten.
Da kam ein Mann dahergeschlendert, der störte sie in ihren Be—
trachtungen und Wünschen. Er war auch kein Jüngling mehr, denn sein
Haar ergraute bereits; sonst war er aber noch ziemlich rüstig und kräftig.
Was er war, das verriet seine Teerjacke und der breite, schwankende
Gang, nämlich, daß er ein Seefahrer war. Er hatte die Arme über
einander geschlagen und sah, wie es schien, befremdet und doch bekannt
umher.
Nachdem er nun jeden Stein am Thore, jeden Sitz und jedes
Gebäude lange gemustert hatte, fiel sein Blick endlich auf die Bretter—
bude und auf Frau Else. Da trat er näher und sprach: „Es hat sich
doch manches in Danzig verändert! In dieser kleinen Bude saß einst
eine muntere junge Frau, von der ich als Schulknabe manchen Bilder—
bogen gekauft habe. Wo mag diese hingekommen sein?“
Die Alte lächelte wehmütig und entgegnete: „Lieber Herr, das
kann doch niemand anders gewesen sein als ich selbst; ich sitze hier schon
über fünfzig Jahre.“
Der Fremde fuhr mit der gebräunten Hand über die Stirn und
rief: „Ja so, ich habe vergessen, daß auch ich gegen vierzig Jahre ab—
wesend war. Die Zeit verändert viel; mancher meiner früheren Schul⸗
und Spielgenossen ist wohl schlafen gegangen, und die noch leben, werden
den armen Matrosen nicht wieder erkennen, viele werden's auch nicht
wollen. — Der Peter Braun, welcher früher in der Langgasse wohnte,
ist nun auch wohl schon lange tot?“
„Selbst gekannt habe ich ihn nicht, aber ich habe viel von ihm
erzählen hören. Er starb im Spittel!“ entgegnete Else.
„Im Spittel?“ wiederholte der Unbekannte erschüttert.
„Der Mann hat ein hartes Schicksal gehabt,“ fuhr die Alte fort;
„ihm war es auch nicht an der Wiege gesungen, daß er so sterben