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freilich die Anwesenden hoch erstaunt, etliche blickten schelmisch, allein
die Königin sagte: „Gewiß, das ist ein frommer Sohn, und es steht ihm die
Wahrheit an der Stirn geschrieben.“ Der König selbst schien dem
Buben wohlgesinnt, doch weil er guter Laune war, sprach er: „Das
Probstück wollen wir ihm nicht erlassen". Hiermit rief er den Frieder
an ein Seitenfenster, das nach dem Freien ging auf einen Grasplatz, weit
und flach, in dessen Mitte stand ein großer Nußbaum, wohl hundert Schritt
vom Haus; es lag aber alles dicht überschneit, da es im Christmond
war. „Du siehst," sagte der König, „die große Wiese hier." — „0 ja,
warum denn nicht?" rief ein Hofmann, des Königs Spaßmacher, halblaut
dazwischen. „Es ist zwar eine von den unsichtbaren, denn sie ist über
und über mit Schnee zugedeckt." Die Hofleute lachten, der König aber
sprach zum Knaben: „Laß dich ein loses Maul nicht irren! Schau! du
sollst mir auf dem Hansel einen Ring rund um den Nußbaum in den
Schnee hier reiten, und wenn es gut abläuft, soll aller Boden innerhalb
des Rings dein eigen sein." Da freuten sich die Schranzen, meinend, es
gäbe einen rechten Schnack; der Frieder wurde aber so freundlich, daß
er die weißen Zähne nicht wieder unterbringen konnte. Das Roß ward
vorgeführt (nachdem man ihm zuvor den goldnen Frauensattel abgenommen),
es jauchzte hellauf und alles Volk mit ihm, und Frieder saß oben mit
einem Schwung. Erst ritt er langsam bis zur Wiese vor, hielt an und
maß mit dem Aug’ nach allen Seiten den Abstand vom Baum, dann setzt’
er den Hansel in Trab und endlich in gestrecktem Lauf, das ging wie ge¬
blasen, und es war eine Lust ihm zuzusehen, wie sicher und wie leicht
der Bursche saß. Er war aber nicht dumm und nahm den Kreis so weit,
als er nur konnte; gleichwohl lief derselbe am Ende so schön zusammen,
als wär er mit dem Zirkel gemacht. Mit Freudengeschrei ward der Frieder
empfangen, im Nu saß er ab, küßte den Hansel auf den Mund, und der
König am Fenster winkt’ ihm herauf in den Saal. „Du hast," sprach er
zu ihm, „dein Probstück wohl gemacht; die Wiese ist dein. Den Hansel
anbelangend, den kann ich dir nicht wiedergeben: ich hab’ ihn meiner
Königin geschenkt; soll aber dein Schade nicht sein." Mit diesen Worten
drückte er ihm ein Beutelein in die Hand, gespickt voll Dublonen. Des
war der Knabe sehr zufrieden, zumal die Königin hinzusetzte, er möge
alle Jahre zur Stadt kommen, in ihrem Schloß vorsprechen und den Hansel
besuchen. „Ja," rief der Frieder, „und da bring’ ich euch zur Kirch¬
weih allemal ein Säcklein grüne Nüss’ vom Baum." „Bleib’ es dabei!"
sagte die Königin. So schieden sie. Der Frieder lief heim durch all das
Volksgewühl und Gejubel hindurch zu seinen Eltern. Der Peter hatte
den Ritt von weitem heimlich mit angesehen, und jetzt tat er in seinem
Herzen ein Gelübde — ich brauche ja wohl nicht zu sagen, worin das
bestand. Genug, der Hansel und der Frieder hatten ihm wieder auf einen
Lange, Dichtergaben. 10