Full text: [Oberstufe, [Schülerband]] ([Oberstufe, [Schülerband]])

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essierten mich, aber siejammerten mich nicht, wie sie Christum 
gejammert hätten, wenn er am Fenster gestanden wäre. Und trotz— 
dem oder vielleicht weil ich so gut gefrühstückt hatte, kam ich gar 
nicht auf den naheliegenden Gedanken, daß diese armen Jungen 
noch einen leeren Magen hätten, und daß Gott sie mir an den Zaun 
geschickt hatte, damit ich ihnen zu essen gebe. „Pfui,“ sagst du, 
„wie häßlich, und du hattest vorher doch gebetet!“ — Ich muß 
dieses „Pfui“ in Demut über mich ergehen lassen. Es war die alte 
Geschichte von dem Priester und dem Leviten, die des Weges kamen, 
wo der arme Slowake lag, und — vorübergingen. Und schlimmer 
war ich noch als jener Priester, denn er hatte für seine heile Haut 
etwas dabei zu riskieren, wenn er dem Slowaken half, ich aber hätte 
nur die Klingel ziehen und in aller Gemütlichkeit zwei Butterbrote 
bestellen können, und mein liebes Weib hätte sich ein Vergnügen 
daraus gemacht, sie zu fabrizieren. Ich protestiere also nicht gegen 
das „Pfui“, sondern schäme mich von Herzen. Aber ich bitte dich, 
der du dies liest, recht inständig, daß du wachen und beten mögest, 
auf daß man nicht auch dir manchmal so ein „Pfui“ auf den Hals 
laden könne. 
Also, ich dachte nicht daran, daß die beiden Slowakenjungen mit 
ihren großen, schwarzen Augen sich eine Rede hielten über die An— 
nehmlichkeit und Nützlichkeit des Sattseins. Doch aber hatte ich 
sehr hübsche Gedanken. Ich bedachte, was für ein armseliges und 
unstätes, versuchungsreiches Leben die armen Menschen doch führen, 
— wie sie jetzt einmal in einem Rohbau, dann in einer Scheune, zu— 
weilen, wenn's Geschäft gut geht, in einer schmutzigen Kneipe oder, 
wenn die Bauern ihnen gnädig sind, in einem verlassenen Schweine— 
stalle übernachten mochten. Ich dachte an den Tag, wo sie ihre 
schöne Heimat verließen, um in die weite, weite Welt hineinzuirren. 
Ich dachte daran, wie einsam sie sich hier wohl fühlen mochten in 
der großen, kahlen Meeresebene zwischen den verständigen, nüch— 
ternen Leuten, deren keiner sie liebt, noch eines Wortes würdigt; 
ich dachte daran, daß sie doch auch eine Mutter hätten, und wie 
diese jetzt wohl ihrer Kinder gedenke und mit Tränen im Auge 
einen Rosenkranz für sie abbete. Und noch vieles und Rührendes 
dachte ich und freute mich an meinen Gedanken, aber sie nützten 
den Jungen nichts, also auch mir und der Welt nichts. 
Unterdessen hatte einer daran gedacht, daß die Slowaken noch 
nicht gefrühstückt hatten. Ich meine aber mit diesem „einen“ nicht 
den nichtsnutzigen Schlingel von Realschüler, der eben jetzt am Zaune 
vorüberging, den schmutzigen Slowakenjungen eine Nase drehte und
	        
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