Full text: [Oberstufe, [Schülerband]] ([Oberstufe, [Schülerband]])

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Ein solcher Wintertag ist vorzugsweise dazu geeignet, um die heimische 
Natur auch in der Jahreszeit mit aller ihrer Schönheit kennen 
zu lernen; wir wandern daher heute schon früh hinaus in den stillen, 
tiefverschneiten Wald. 
Sobald uns das Waldesdunkel aufgenommen, macht sich die 
Ruhe und Waldeinsamkeit so recht fühlbar. Außer dem knirschenden 
Geräusch unserer eigenen Schritte ist weithin kein Laut zu vernehmen, 
und in gleicher Weise erscheint uns der ganze Wald starr, ohne Be— 
wegung und Leben. 
Wo die Strahlen der Morgensonne durch die dichten Wipfel der 
Nadelholzbäume brechen, umgolden sie die weiße Schneerinde, welche 
sich von dem Grün der Kiefernbüsche gar wunderschön abhebt. 
Soweit unsere Blicke reichen, reihen sich zu beiden Seiten des 
Weges die Baumstämme ziemlich dicht aneinander und machen fast 
den Eindruck einer unendlichen Säulenhalle, deren Wölbungen die 
Baumkronen bilden, und deren Boden die schneeweiße Decke ist. 
Plötzlich erweitert sich das Walddickicht an einer Seite zur weit⸗ 
hin übersehbaren freien Fläche, von den Forstleuten Lichtung oder 
Blöße genannt, hier und da von einigen einzelnen Bäumen be— 
standen. Dies ist ein Plan des Forstes, auf welchem vor kurzer Zeit 
das hohe Holz heruntergeschlagen worden. Die einzelnen Stämme 
hat man als „Samenbäume“ stehen lassen, damit von ihren Sämereien 
die Fläche wieder angesäet und allmählich bewaldet werde. Hier 
machen wir Halt. 
Wohlverwahrt mit warmen Kleidern und Schuhzeug, so daß wir 
der gelinden Kälte zu trotzen vermögen, stellen wir uns nun so hinter 
einem dichten Busche auf, daß wir durch denselben gedeckt sind, d. h. 
von besonders scheuen Tieren nicht bemerkt werden, unserseits aber 
gute Umschau halten können. 
Ein knisterndes Geräusch lenkt unsere Aufmerksamkeit seitwärts 
nach dem Walde hinein. Hier bietet sich unsern Blicken eine eigen— 
tümliche Erscheinung. Eine Gesellschaft Kreuzschnäbel tummelt sich in 
den Zweigen. Es sind wunderliche Vögel, deren selbstgeschäftiges 
Treiben mit der tiefen Waldesruhe so recht übereinstimmt und doch 
das Bild zu einem lieblich lebensfrohen macht. Gleich Rubinen er— 
glänzen sie im dunkelroten Gefieder auf den grünen, weiß überzogenen 
Zweigen; hier wiegt sich einer, mit dem Kopfe nach unten hängend, 
an den schwankenden Reisern, dort bricht ein anderer mit dem sonder— 
baren, kreuzweise übereinandergebogenen Schnabel bedächtig die 
Schuppen der harten Kiefern- und Fichtenzapfen auseinander, um die 
Samen darunter hervorzuholen. Dies Aufbrechen verursacht eben
	        
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