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d. h. das Große." Der Priester aus Persien: „Wir nennen es Ormuz,
d. h. Urlicht." Der Priester aus Judäa: „Jehooah Adonai, den
Herrn, der da ist, war und sein wird." Und so hatte ein jeder
Priester sein eigenes Wort und einen besonderen Namen, womit er
das höchste Wesen benannte.
Da ergrimmte der König in seinem Herzen und sprach: „Ihr
habt nur einen Herrscher und König, so sollt ihr auch fortan nur
einen Namen für Gott haben: Zeus ist sein Name." Aber die
Priester aus Persien wurden sehr betrübt ob dieser Rede des Königs
und sprachen: „Mit dem Worte, das wir genannt haben, nennt ihn
unser Volk von Jugend auf. Wie sollen wir das ändern?" Der
König aber zürnte noch mehr.
Da trat ein alter Weiser mit grauem Haupte hervor, ein Brahmine,
der ihn nach Babylon begleitet hatte. Dieser hub an und sprach:
„Der König, mein Herr, erlaube, daß ich zu den Versammelten reden
dürfe." — Daraus wandte er sich zu den Priestern und fragte:
„Leuchtet auch bei euch allen das himmlische Gestirn des Tages, die
Quelle des irdischen Lichtes?" Die Priester verneigten sich allesamt
und sprachen: „Ja!" Da fragte der Brahmine sie, einen nach dem
andern: „Wie nennt ihr dasselbe?" Und ein jeglicher nannte ein
anderes Wort und einen eigenen Namen seines Landes und Volkes.
Da sprach der Brahmine zu dem Könige: „Sollen sie nicht fortan das
Gestirn des Tages mit gleichem Worte nennen? Helios ist sein Name!"
Bei diesen Worten ward der König voll Scham und sprach:
„Lasset einen jeglichen sein eignes Wort gebrauchen. Ich sehe wohl,
daß das Bild und Zeichen noch nicht das Wesen ist."
Krummacher.
197. Die zehn Rosen vom Sinai.
Hoch oben auf dem Berge Sinai, da wächst seit Jahrtausenden
ein großer unendlicher Nosenstock, der breitet seine Zweige hoch aus
über das ganze Weltall; die Gerechten und Frommen erkennen den
Himmelsschimmer seiner Blüten an dem Glanze des Morgen- und
dem Purpurscheine des Abendlichtes und beten unter dem Blütendom,
ja selbst die schwarzen Stämme des Äquators kennen schon den Ro¬
senstock und beugen sich unter seinem heiligen Blütenschauer.
Dieser Rosenstock lebt ewig — ewig und unzählig wachsen seine
Blumen, und jedesmal, wenn ein Kind geboren wird, dann fallen
aus einer der zehn Rosen des Sinai zehn Samenkörner herab in
des Kindes Brust. Dort keimen sie, wenn die Mutter an der Wiege
sitzt, sie schlagen ihre Wurzeln, wenn der Säugling im süßen
Schlummer üächelt, und der Engel zu Häupten des Kindes pflegt
ihre ersten Keime.
Das Kind aber wächst, und in seiner Brust entwickeln sich lang¬
sam die Knospen und gießen ihren sanften Schimmer über des Kindes
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