Full text: [Teil 2 = 7. u. 8. Schulj, [Schülerbd.]] (Teil 2 = 7. u. 8. Schulj, [Schülerbd.])

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Dem grauen Tutilo war's beim Empfang schwer aufs Herz gefallen, 
daß der linke Ärmel seiner Kutte mit einem Loche geschmückt war; sonst 
tvär's noch bis zum nächsten hohen Festtag ungeslickt geblieben, aber jetzt 
galt es kein Verzug; mit Nadel und Zwirn bewaffnet saß er ans dem 
Schrägen^) und besserte den Schaden. Und weil er gerade im Zuge war, 
lkgte er auch seinen Sandalen eine neue Sohle an und festigte sie mit 
Nägeln. 
Radolt, das Denkmännlein, ging mit gerunzelter Stirn ans seiner 
Zelle auf und nieder, oermeinend, es werde sich eine Gelegenheit ergeben, in 
jrei ersonnener Rede des hohen Gastes Ruhm zu preisen. Er wollte des 
Tacitus Spruch von den Germanen zu Grunde legen: „Sie glauben auch, 
daß den Frauen etwas Heiliges und Zuknnftvoraussehendes innewohne, 
darum verschmähen sie niemals ihren Rat und fügen sich ihren Bescheiden." 
Es war das fast das einzige, was er vom Hörensagen von den Frauen wußte. 
In anderer Zelle saßen der Briider sechs unter dem riesigen Elfen¬ 
deinkamme, der an eiserner Kette von der Decke herabhing — Abt Hartmuts 
nützliche Stiftung —; die vorgeschriebenen Gebete murmelnd, erwies einer 
dem anderen den Dienst sorglicher Glättung des Haupthaares. Auch 
ivard manch überwachsene Tonsur in jener Zeit zu strahlendem Glanze 
erneuet. 
In der Küche aber ward unter Gerold des Schaffners Leitung eine 
Thätigkeit entwickelt, die nichts zn wünschen übrig ließ. Jetzt läutete auch 
das Glvcklein, dessen Ton auch von den frömmsten Brüdern noch keiner un¬ 
willig gehört, der Ruf zur Abendmahlzeit. Der Abt geleitete die Herzogin 
ms Refektorium. Sieben Säulen teilten den luftigen Saal hälftig ab; 
ait vierzehn Tischen standen, wie Heerscharen der streitenden Kirche, des 
Klosters Mitglieder, Priester und Diakonen. Das Amt des Vorlesers vor 
dem Imbiß stand in dieser Woche bei Ekkehard, dem Pförtner. Der Her¬ 
zogin zu Ehren hatte er den 44. Psalm erkoren; er trat auf und sprach 
einleitend: „Herr, öffne meine Lippen, auf daß mein Mund dein Lob ver¬ 
künde", und alle sprachen's ihm murmelnd nach, als Segen zu seiner Lesung. 
Nun erhob er seine Stimme und las den Psalm, den die Schrift selbst einen 
lieblichen Gesang nennt. 
Darauf begann die Mahlzeit. Der Küchenmeister, wohl wissend, wie 
üei Ankunft fremder Gäste Erweiterung der schmalen Klosterkost gestattet 
H hatte es nicht beim üblichen Mus von Hülsenfrüchten bewenden lassen. 
Wohl erschien zuerst ein dampfender Hirsebrei, auf daß, wer gewissenhaft 
bei der Regel bleiben wollte, sich daran sättige; aber Schüssel auf Schüssel 
folgte, bei mächtigem Hirschziemer fehlte der Bärenschinken nicht, sogar der 
Biber vom oberen Fischteich hatte sein Leben lassen müssen; Fasanen, Reb¬ 
hühner, Turteltauben unb des Vogelherdes kleinere Ausbeute folgten; der 
Fische aber eine unendliche Auswahl, so daß schließlich ein jedes Getier, 
Ratendes, fliegendes, schwimmendes und kriechendes, auf der Klostertafel seine 
Vertretung fand. 
J) Ein Holzgestell mit schräg oder kreuzweise stehenden Füßen.
	        
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