Full text: [Teil 2 = 7. u. 8. Schulj, [Schülerbd.]] (Teil 2 = 7. u. 8. Schulj, [Schülerbd.])

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Hugo verläßt ihn. Ernst, der Herberglose, fühlt sich verlassen, ge¬ 
mieden wie die Pest, und will weiter fliehen. Da vertritt ihm ein 
Kriegsknecht den Weg. Ernst hält ihn erst für einen gedungenen 
Mörder, aber er erkennt bald, daß es Werner ist, sein Freund, der 
allein ihm treu geblieben und ihn jetzt aufsucht, um sein Elend mit 
ihm zu teilen, Werner, dem er die Treue nicht brechen wollte, für den 
er alles hingegeben, für den er gebannt und geächtet umherirrt. 
Beide fühlen sich nun glücklich, ein jeder rühmt am anderen das edle 
Herz, das lautere Gold der Treue. Werner erzählt, daß er in Frank¬ 
reich gewesen, von einem Kriegsknechte Ernsts Schicksal erfahren hat 
und in derselben Stunde aufgebrochen ist, um ihn zu suchen; er ge¬ 
steht, daß ihm nur die Erinnerung an den großen, schönen Tag der 
Königswahl auf dem Maienfelde die Hoffnung auf bessere Zeiten im 
Vaterlande erhalten habe, daß er Kaiser Konrad, der damals so 
demutsvoll sein Haupt geneigt habe, hasse und bekämpfe, weil er die, 
die ihn erwählten, nun in den Staub trete, nach Alleinherrschaft 
trachte und Ernst verfolge. Die Königswahl schilderte er aber mit 
folgenden herrlichen Worten: 
1. Der fromme Kaiser Heinrich war gestorben, 
des sächsischen Geschlechtes letzter Zweig, 
das glorreich ein Jahrhundert lang geherrscht. 
Als nun die Botschaft in das Reich erging, 
5. da fuhr ein reger Geist in alles Volk, 
ein neu' Weltalter schien heraufzuzieh'n. 
Da lebte jeder längst entschlafne Wunsch 
und jede längst erloschne Hoffnung auf. 
Kein Wunder jetzo, wenn ein deutscher Mann, 
10. dem sonst so Hohes nie zu Hirne stieg, 
sich, heimlich forschend, mit den Blicken maß! 
Kann's doch nach deutschem Rechte wohl gescheh'n, 
daß, wer dem Kaiser heut' den Bügel hält, 
sich morgen selber in den Sattel schwingt. 
15. Jetzt dachten unsre freien Männer nicht 
an Hub-Z und Haingericht und Markgeding,Z 
wo man um Esch'Z und HolzteilZ Sprache hält; 
nein, stattlich ausgerüstet zogen sie 
ans allen Gauen, einzeln und geschart, 
20. ins Maienfeld hinab zur Kaiserwahl. 
Am schönen Rheinstrom zwischen Worms und Mainz, 
wo unabsehbar sich die ebne Flur- 
auf beiden Ufern breitet, sammelte 
der Andrang sich; die Mauern einer Stadt 
25. vermochten nicht das deutsche Volk zu fassen. 
Am rechten Ufer spannten ihr Gezelt 
') Die Hube oder Hufe — das Feld, das Ackerlos, das einer Familie zur Bebauung überwiesene 
Stück Land. 2) Der Grenzvertrag. 3) Der oder das Esch — die Gemeiudeflur. *) Der Anteil am Walde.
	        
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