82. Mignon.
Wolsgang von Göthe.
Werke. I. Band. (Gedichte. I. Teil.) Mit Einleitung und Anmerkungen von
Gustav von Löper. 2. Ausgabe. Berlin. 1832. 8. 99.
[Zuerst in: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Ein Roman. II. Band. Berlin. 1795. 8. 7,
1. Kennst du das Land, wo die Zitronen blühn,
im dunkeln Laub die Goldorangen glühn,
ein sanfter Wind vom blauen Himmel weht,
die Myrte still und hoch der Lorbeer steht,
kennst du es wohl?
Dahin, — dahin
möcht' ich mit dir, o mein Geliebter, ziehn!
2. Kennst du das Haus? Auf Säulen ruht sein Dach,
es glänzt der Saal, es schimmert das Gemach,
und Marmorbilder stehn und sehn mich an:
Was hat man dir, du armes Kind, gethan?
Kennst du es wohl?
Dahin, — dahin
möcht' ich mit dir, o mein Beschützer, ziehn!
3. Kennst du den'Berg und seinen Wolkensteg?
Das Maultier sucht im Nebel seinen Weg;
in Höhlen wohnt der Drachen alte Brut;
es stürzt der Fels und über ihn die Flut.
Kennst du ihn wohl?
Dahin, — dahin
geht unser Weg! O Vater, laß uns ziehn! 1782.
83. Der Dechant').
Karl Immermann.
Schriften. I. Band. (Gedichte.) Düsseldorf. 1835. 8. 433.
1. In dem Sarge unbedecket,
rings mit Flor und Schnielz umstecket,
lag die Leiche ausgestrecket
2. des Raimundus, des Dechanten,
dessen andachtsvoll entbrannten
Wandel weit die Lande kannten.
3. Trauernd sangen Ordensbrüder
bei dem Sarg die Grabeslieder,'
Responsorier?) tönten wieder.
4. Und des Volks gedrängte Menge
schluchzte durch des Schiffes Gänge
in die dumpfen Klaggesänge.
6. Als das Amt vollendet worden,
sprach der Älteste vom Orden:
Tod, allmächtig ist dein Morden!
i) Deck) ant oder Dekan, der Obergeistliche, der nächste nach dein Bischof
oder Probst. — 2) Das Responsorium, ein kirchlicher Wechselgesang.