15. Und schauerlich, gedreht im Kreise,
beginnen sie des Hymnus') Weise,
der durch das Herz zerreißend dringt,
die Bande um den Frevler schlingt.
Besinnungsraubend, herzbethörend
schallt der Erinnyen^) Gesang,
er schallt, des Hörers Mark verzehrend,
und duldet nicht der Leier Klang:
16. „Wohl dem, der frei von Schuld und Fehle
bewahrt die kindlich reine Seele!
Ihm dürfen wir nicht rächend nahn,
er wandelt frei des Lebens Bahn.
Doch wehe, wehe, wer verstohlen
des Mordes schwere That vollbracht!
Wir heften uns an seine Sohlen,
das furchtbare Geschlecht der Nacht.
17. Und glaubt er fliehend zu entspringen,
geflügelt3) sind wir da, die Schlingen
ihm 'werfend um den flüchtgen Fuß,
daß er zu Boden fallen muß.
So jagen wir ihn, ohn' Ermatten,
versöhnen kann uns keine Reu',
ihn fort und fort bis zu den Schatten4 *)
und geben ihn auch dort nicht frei/")
.18. So singend, tanzen sie den Reigen,
und Stille, wie des Todes Schweigen,
liegt überm ganzen Hause schwer,
als ob die Gottheit nahe wär'.
Und feierlich, nach alter Sitte,
umwandelnd des Theaters Rund,
mit langsani abgemessnem Schritte,
verschwinden sie im Hintergrund.
19. Und zwischen Trug und Wahrheit schwebet
noch zweifelnd jede Brust und bebet
und huldiget der furchtbarn Macht,°)
die richtend im verborgnen wacht,
9 Der Hymnus, eig. ein Loblied auf die Götter, hier überhaupt
ein feierlicher Gesang. — *) Die Erinnyen (Eumeniden), Rächerinnen über
jeden Frevel, vor allem über die Verletzung der Bande des Blutes. Ihr
Gesang wird als wahnsinnbringend geschildert, und mit ihm verfolgen sie den
Frevler wie ein gehetztes Wild. — 3) Rasch, als ob wir flögen. — 4) Bis
zur Unterwelt, zum Tode. — 3) Der Dichter hat wohl eine Aufführung der
„Eumeniden" von Äschylos (etwa 525—456 v. Chr.) im Sinn. — 6) Der
Nemesis, der strafenden Gerechtigkeit, als deren Boten die Eumeniden
erscheinen.