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12. An meine« Jolm Hollimnes. (1799.)
Matthias Claudius.
Asmus omnia sua secum portans oder Sämtliche Werke des Wandsbecker Boten.
VII. Teil. 1. Auflage. Wandsbeck, beim Verfasser. 1803. 8. 147.
[Zuerst als Einzeldruck. Hamburg. 1799.]
Gold und Silber habe ich nicht; was ich
aber habe, gebe ich dir.
Lieber Johannes!
Die Zeit kommt allgemach heran, daß ich den Weg gehn muß, den
nian nicht wieder kommt. Ich kann dich nicht mitnehmen und lasse dich
in einer Welt zurück, wo guter Rat nicht überflüssig ist.
Niemand ist weise von Mutterleibe au; Zeit und Erfahrung lehren
hier und fegen die Tenne.
Ich habe die Welt länger gesehen als du.
Es ist nicht alles Gold, lieber Sohn, was glänzt, und ich habe
manchen Stern vom Himmel fallen und manchen Stab, auf den man
sich verließ, brechen sehen.
Darum will ich dir einigen Rat geben und dir sagen, was ich
funden habe, und was die Zeit mich gelehrt hat.
Es ist nichts groß, was nicht gut ist, und ist nichts wahr, was
nicht besteht.
Der Mensch ist hier nicht zu Hause, und er geht hier nicht von
ungefähr in dem schlechten Rock umher. Denn sieh nur, alle andere
Dinge hier, mit und neben ihm, sind und gehn dahin, ohne es zu wissen;
der Mensch ist sich bewußt und wie eine hohe bleibende Wand, an der
die Schatten vorübergehn. Alle Dinge mit und neben ihm gehn dahin,
einer fremden Willkür und Macht unterworfen; er ist sich selbst anvertraut
und trägt sein Leben in seiner Hand.
Und es ist nicht für ihn gleichgültig, ob er rechts oder links gehe.
Laß dir nicht weis machen, daß er sich raten könne und selbst
seinen Weg wisse.
Diese Welt ist für ihn zu wenig, und die unsichtbare sieht er nicht
und kennt sie nicht.
Spare dir denn vergebliche Mühe, und thu dir kein Leid, und
besinne dich dein!
Halte dich zu gut, Böses zu thun!
Hänge dein Herz an kein vergänglich Ding!
Die Wahrheit richtet sich nicht nach uns, lieber Sohn, sondern wir
müssen uns nach ihr richten.
Was du sehen kannst, das sieh, und brauche deine Augen, und
über das Unsichtbare und Ewige halte dich an Gottes Wort!