Full text: [Teil 5, [Schülerbd.]] ([Teil 5, [Schülerbd.]])

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Aber auch hier, wie in den Wildnissen des Urwaldes, begrüßt 
der Fremdling mit Jubel diesen Laut, der ihm die Nähe des Menschen 
verkündigt. Rascher eilt er vorwärts, endlich in irgend einer Schlucht 
tauchen die kegelförmigen Zelte auf, und schon sieht er auch die Bewohner 
hervortreten, die neugierig und doch voll Achtung ihn empfangen. Ist 
es eine größere Niederlassung, so führt man ihn in das mitten im Kreise 
der anderen stehende Zelt des Häuptlings. Mit brennenden Spänen 
wird der unbekannte Gast umräuchert, mit langer lebhafter Rede bewill- 
kommt, mit freundlichem Drängen zum Mahle geladen. Wohl zögert 
der Europäer, sich unter das niedere Obdach zu beugen, und gewöhnlich 
rechtfertigt das, was im Innern den Sinnen sich bietet, nur allzusehr 
seine Befürchtungen. Dennoch mag das Sommerzelt des Tschuktschen 
noch für einen Palast gelten, im Vergleich zu seinem Winterlager, zu 
der sogenannten Jurte. Man muß sich erinnern, daß Wärme und 
Wohnlichkeit für den Menschen einer solchen Natur dasselbe bedeuten. 
Seine einzigen, aber desto furchtbareren Feinde sind Kälte und Mangel, 
und hat er sich gegen diese gesichert, so kennt seine Genügsamkeit kaum 
noch einen Wunsch. Dem Tiere gleich genötigt und gewöhnt, in den 
Schoß der Erde selbst zu fliehen, begreift er den Schauder nicht, mit 
deni der Europäer zurückbebt, wenn er in jenen licht- und lustlosen 
Höhlen Zuflucht sucht. 
4. Eine lange Grube führt, einem Maulwurfsgang ähnlich, in 
das, was der Polarmensch sein Haus nennt. Nachdem er gebückt oder 
kriechend sich hindurch gewunden hat, gelangt er in die Jurte. Es ist 
ein zwei drittel Meter tief in die Erde gewühltes Viereck, das zeltartig 
von Stangen und Walfischrippen umzäunt, mit Renntierfellen und 
Schneeschichten gedeckt ist. Aber es wäre irrig, dies schon für die eigent¬ 
liche Wohnstätte zu halten. Die Jurte bildet vielmehr nur das Dach 
oder die Hülle derselben. Denn erst innerhalb dieses Gerüstes steht das 
zweite Zelt, die Juronga. Man stelle sich einen Kasten vor, dessen 
Wände von Walknochen gebildet und über die hin gedoppelte Renntier¬ 
felle gescannt sind. Man stelle sich diesen Kasten vor allem niedrig 
genug vor, um jeden Gedanken an ein Aufrechtstehn des Inwohners 
fern zu halten, denn er kann nur liegen oder sitzen. Man stelle sich 
ihn aber auch eng genug vor, um die Ökonomie*) zu bestaunen, die es 
möglich macht, daß auf einer Erdscholle von vielleicht zwei einen halben 
Meter Breite und Länge eine Familie von fünf, sechs Menschen nebst 
Hunden , Vorräten, Waffen, Fischer- und Jagdwerkzeugen Platz hat. 
Keine Öffnung gestattet dem Dämmerschein des Tages, keine dem Hauche 
der Atmosphäre^) Eingang. Indessen — was der Tschuktsche verlangt, 
das bietet noch immer diese Stätte, da sie, abgeschlossen wie sie ist,, 
schon an sich eine notdürftige Wärme gewähren würde. Aber der 
eigentliche Erzeuger der letzteren ist jene Lampe, die immer brennend itt 
der Mitte herabhängt. In einer Muschel oder, einem Knochen glüht, 
*) Die Ökonomie, die Wirtschaftlichkeit, Sparsamkeit, Haushaltungs¬ 
kunst. — 2) Die Atmosphäre, der die Erde umgebende Luft- oder Dunstkreis.
	        
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