von Walthran genährt, die Flamme eines Mooses, des beinahe einzigen
Vertreters der Pflanzenwelt an der Küste, und diese Flamme genügt,
den winterlichen Kerker zu erwärmen und zu erleuchten. Sie ist in der
That Licht, Ofen- und Herdfeuer zugleich. Aber nun nehme man zu
dem allen den thranigen Dampf, der qualmend die Hütte erfüllt, den
erstickenden Ruß, der mit jedem Atemzuge in die Lungen dringt und
bald alles mit einer schwarzen Decke überzieht, man vergegenwärtige sich
die ganze Qual der quetschenden Enge, und erst dann — doch nein!
auch dann nicht vermag sich der Europäer ein Bild zu machen von der
Juronga.
6. Der Tschuktsche überdauert in ihr den Winter. Dort liegt er,
die lange Nacht geteilt zwischen Schlaf und Essen und den kleinen
Arbeiten, zu denen er das angeborene Geschick des Mongolen mitbringt.
Die Frauen nähen, die Männer schürfen ihre Waffen, bessern ihre Netze
aus oder versuchen die Gelehrigkeit der Hunde. Es unterbricht auch
wohl einmal ein Freudentag die öde Gewohnheit. Dann steigert sich
die unter der eisigen Zone so natürliche Eßlust zu unersättlicher Gier.
Der rohe Speck des Walfisches und der Robbe ist das immer wieder¬
kehrende Mahl; eine Hand voll Schnee löscht den Durst; aber den
höchsten Genuß beut dem Tschuktschen der Tabak. Wer wollte den
Armen _ tadeln, wenn er, nicht vermögend, den grimmen Feind zu
bekämpfen, ihm sich auf diese Weise gleichsam unsichtbar zu machen
sucht? Denn so furchtbar ist die Kälte des nordischen Winters, daß
selbst der frostgehärtete Tschuktsche nur notgedrungen seinen Aufenthalt
zu verlassen wagt. Dies geschieht, wenn die Vorräte aufgezehrt sind,
und andere aus wohlverborgenem Verstecke hervorgeholt werden müssen.
Mit einer Fürsorglichkeit, wie sie der Nomade nicht kennt, hat er den
Überfluß seiner sommerlichen Jagd- und Fischzüge bewahrt. Große
Gruben sind die Speicher, und dieselbe Kälte, deren tödlicher Hauch ihn
mit jedem Atemzuge bedroht, macht ihm möglich zu leben, indem sie die
aufgesparten Fleischmassen vor Verwesung schützt. Aber wehe, wenn
länger als gewöhnlich der Winter das Meer verschließt! Dann gesellt
sich zu den Schrecken des Klimas der Hunger mit seinem Gefolge. Wir
wissen aus beglaubigter Überlieferung, daß ganze Stammschaften der
Tschuktschen vom Mangel aufgerieben wurden.
6. Kaum geringere Gefahr droht, wenn eine Seuche die Hunde
hinwegrafft. Denn mit dem Leben dieses Geschöpfes ist das Leben des
Küsten-Tschuktschen untrennbar verknüpft. Was dem Nomaden das Renntier,
das und mehr als das leistet ihm der Hund. In unseren Breiten würde
der nur halb gezähmte wolfsartige Wildling rasch abarten oder vielleicht
nur seine üblen Eigenschaften entwickeln; dort oben ist er der einzige
und unschätzbare Freund und Helfer des Menschen. Mit großer Kraft
und Schnelligkeit verbindet er die geduldigste Ausdauer unb eine wunder¬
bare Schärfe der Wahrnehmung. Er stellt dem jagenden Tschuktschen
das Wild; er zieht ihm den Schlitten und im Wirbel der Userbrandung
das Boot; wo die Spürkraft menschlicher Sinne längst versagt, im
Schneetreiben der Berge und auf dem Eise der Sunde, da ist er der
untrügliche Führer und — wie oft! der alleinige Retter des irrenden Herrn.
Deutsches Lesebuch A. V. 4