1. Von der Ameise wird scheinbar mehr Rühmens
gemacht, als sie wert ist, im Grunde aber doch nicht. Es
ist nicht wahr, daß sie Vorräte für den Winter einsammelt.
Da sie den Winter schlafend zubringt und von
Michaelis bis Ostern nicht an den Brotschrank zu gehn
braucht, so wäre sie eine schlechte Wirtin, wenn sie Vor¬
räte zum Verderben einsammelte. Wahr aber ist es, was
von dem Fleiße der Ameise erzählt wird, und nicht nur
ein Fauler kann zu ihr hingehn, um von ihr zu lernen,
sondern auch ein Fleißiger mag wohl in einem Muße¬
stündchen sich an ihrem Treiben erfreuen und sich von
ihr belehren lassen.
2. Jeder hat wohl einmal die Ameisen beobachtet,
wie sie auf ihrer langen Heerstraße im Walde hin und
her laufen. Die Ameise hat einen eigentümlichen Gang;
ist sie ein paar Schritte gegangen, so hält sie ein Augen-
blickchen an, vielleicht um zu sehen, ob nicht unterwegs
etwas mitzunehmen ist, vielleicht, um mit einer begegnenden
ein Wort zu wechseln. Wie einträchtig sind sie unter
einander! Keine stört die andere, so viele ihrer auch sind.
So bilden sie den geordnetsten und friedfertigsten Arbeiter¬
verband, den man sich denken kann.
4. Mit welcher Ausdauer und Geschicklichkeit wissen
sie Schwierigkeiten bei der Arbeit zu überwinden! Es
kommen zwei an mit einem toten Räupchen, die eine hat
es am Kopfende, die andere am Schwanzende gefaßt; so
am Boden ein trockenes Zweiglein, die eine Ameise kriecht
unter demselben durch, die andre steigt über dasselbe
hinweg, infolge dessen legt die Raupe sich um das
Zweiglein, und die beiden Ameisen, wie sehr sie auch
ziehen, kommen nicht von der Stelle. Nachdem sie
sich eine Zeit lang umsonst angestrengt haben, läuft
die eine fort. Man denkt, sie wird in ein Wirtshaus
laufen, um mit einem Schöpplein den Verdruß über
das mißlungene Werk hinunter zu spülen. Aber nein,
sie bleibt in der Nähe, sie läßt sich die Sache durch den
Kopf gehn, und bald hat sie auch den Schlüssel zur
Lösung gefunden. Fröhlich kehrt sie zu ihrer Gefährtin
zurück, die unterdessen ruhig gewartet hat, und spannt
sich neben sie an dasselbe Ende der Raupe. Beide ziehen
kräftig an, ein Ruck, und das Hindernis ist beseitigt.