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sich bald an diesen gewöhnt und unbekümmert seinen Geschäften
nachgeht. Darum ist er aber auch gar leicht zu fangen
und zu überlisten, und sein Vertrauen, nur zu oft schändlich
gemißbraucht, treibt ihn dem grausamen Vogelfänger in die
Hände. Neben seinem Neste haben wir die beste Gelegenheit,
seinen außerordentlichen Nutzen für den Naturhaushalt zu
ermessen. Zehn bis zwölf nimmersatte Kleinen sperren von
früh bis spät unaufhörlich die Schnäbel auf, und die beiden
Alten sind eiligst und rastlos beschäftigt, diese immer von
neuem zu füllen mit Raupen und Blattläusen, mit Fliegen,
Mücken usw. Und kaum ist die erste Brut erzogen und ver¬
mag selbst für sich zu sorgen, da beginnen sie bereits mit
den Vorbereitungen für die zweite.
6. Wie wohlthätig hat die große Mutter Natur sogar in
diesen kleinen Vögelchen für die Regelung und das Gleich¬
gewicht ihres Haushalts gesorgt! Nicht bloß dadurch ist der
Zaunkönig wichtig, daß er zu den wenigen kerbtierfressenden
Vögeln gehört, welche auch den Winter über bei uns bleiben
und rastlos thätig sind, nicht bloß dadurch, daß er mit seinem
Schnäbelchen die Kerbtierbruten überall zu finden weiß, sondern
die Natur läßt ihn sich auch in außergewöhnlicher Anzahl
alljährlich vermehren.
7. Zum Dank für seinen Nutzen und die Freude, die er
uns zu bereiten vermag, hat der Zaunkönig aber auch das
Glück (welches leider noch bei weitem nicht allen nützlichen
Vögeln zu teil wird), daß alle Welt ihn kennt, liebt und
beschützt. Der Volksmund macht sich mit ihm, dem „Schnee¬
könig“, viel zu schaffen, besingt ihn in Liedern und macht
ihn zum Helden gar artiger Märchen.
8. Ein stolzer kleiner König ist er auch wirklich in seinem
ganzen Wesen. Seht nur, wie er so keck und trotzig daher
hüpft, wie er, fast dem Puthahn gleich, das Schwänzchen aus¬
breitet und sich aufbläht, wenn er sein klingendes Winter¬
liedchen beginnt! Seiner gar zu kleinen Gestalt wegen erscheint
er uns freilich stets nur drollig, sonst könnten wir ihm eine
gewisse hohe Königswürde nimmer absprechen, zumal seine
schönen klugen Augen dem entschieden widersprechen, daß
sein Stolz (wie sonst nur zu häufig) auch mit Dummheit
gepaart sei. Einen -höchst komischen Eindruck macht aber
sein Zorn, von dem uns der Volksmund ein Stücklein erzählt.
9. „Petz, der freche, träge Bär, hatte unsern kleinen
König gekränkt und in seiner Würde beleidigt. Anfangs
achtete Seine Hoheit gar nicht auf das Beginnen des plumpen.
Doch jener trieb’s zu arg, und als er im Ernst zur Ordnung
gerufen wurde, that er es, nach störrischer Art, erst recht.
Nun aber geriet unser Freund in seinen allerhöchsten Zorn;
mit einem Satze flog er dem Bären auf den Kopf, trampelte
dort in fürchterlicher Wut umher und rief: Wenn ich böse
werde, tret’ ich dich mit Füßen!“ —