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3. Aber nur der Hunger macht ihn kühn. Dem^ Mutigen 
gegenüber ist er feig und verläßt sich mehr auf feine List als auf 
feine Stärke, denn listig und der Verstellung fähig ist er vielleicht in 
eben dem Maß als der Fuchs. Stundenlang liegt er im Grafe 
und belauert das neben der Stute tappende Füllen; im dämmernden 
Walddickicht sperrt er dem Wanderer den Weg, umschleicht auf der 
Heide den Karren des hausierenden Israeliten. Ist günstige 
Gelegenheit des Angriffs, so duckt er den fpitzschnauzigen Kopf, drückt 
die Augen glotzend aus der Höhle, sträubt das Haar, krümmt den 
Rücken und stößt, auf seine Beute stürzend, ein wildes gurgelndes 
Geheul aus. Zieht er sich zurück, so weicht er fast kriechend und 
verwischt mit dem buschigen, immer hängenden Schweife die Spur, 
bis er, sicher genug, in großen Sätzen seinem Lager zueilt. 
4. Offenen Kampf meidet der Wolf, er wird nur wider Willen 
in denselben verwickelt. Er scheut den Huf des Hengstes und das 
Horn des Stieres und flieht vor dem Steppenhunde, der die Schaf¬ 
herde bewacht. Ein Funke, ein rauschendes Blatt kann ihn in Furcht 
fetzen; ein ungewohnter Ton, das Spiel einer Geige, das der arme 
Musikant in seiner Seelennot vor den grimmen Zuhörern anstimmt, 
hält sie wie im Bann, bis sie, vom Schrecken übermannt, davon¬ 
laufen. Obgleich den Wolf nicht selten feine Raubgier der gewohnten 
Vorsicht vergessen läßt, macht sie ihn doch auch der hartnäckigsten 
Verfolgung fähig. Unablässig dringt er der Spur der Herde nach, 
jedes kranke Stück ereilend; aber noch furchtbarer und ekler erscheint 
er im Gefolge des Krieges und der Schlachten. Der Wolf ist der 
Nachzügler der Heere, und nicht begnügt wie der Rabe, auf der 
WalstattZ das grause Mahl zu halten, überfällt er scharenweis den 
einsamen Posten und den rückbleibenden Zug der Matten und Siechen. 
6. Wen möchte befremden, daß ein solches Tier vor anderen 
gefürchtet und abergläubisch gefürchtet wurde? Gleich dem Namen 
des Bären wagte man auch den seinigen nicht geradehin auszufprechen, 
glaubte vielmehr, daß dies allein schon genüge, den Wolf herbeizu¬ 
rufen. Daher unser Sprichwort: Wenn man den Wolf nennt, kommt 
er gerennt. — Eins noch zur Kennzeichnung des Wolfes! Wie er 
dem Fuchs an List vielleicht wenig oder nichts nachgibt, so ist auch 
sein Leben von gleicher Zähe; Jäger versichern, daß Wölfe zuweilen 
von sechzehn bis zwanzig Kugeln getroffen waren und doch erst mit 
. Eteln völlig totgeschlagen werden mußten. Aber kein Vierfüßler, 
selbst kein Aasvogel soll vorn Fleische des gefallenen fressen, dagegen 
folgen dem verwundeten seinesgleichen auf der Blutspur, töten ihn 
vollends und fressen ihn auf. Es gibt kein treffenderes Sinnbild 
der wilden Gier als den Wolf, und der Räuberstaat des Romulus^) 
hatte recht, dieses Tier zum Wehr- und Feldzeichen zu nehmen. 
~ P Die Walstatt, das Schlachtfeld. - 2) Romulus. nach der 
Sage der Gründer Roms.
	        
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