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4. So waltete Karl von der Raab bis an den Ebro, von der Tiber bis
an die Eider; zum ersten Male waren alle deutschen Stämme zu einem großen
Reiche vereinigt. Es war ein Riesenstaat, der mächtigste und größte der Welt,
ein Staat, dem alle anderen sich beugen mußten. Es lag nahe, dabei an das
ehemalige ungeheure Römische Reich zu denken. Aber dieses Deutsche Reich
war um soviel stärker als jenes, weil es ein christliches war, und eine Religion,
die römisch⸗katholische, alle Glieder umfaßte. So kam der Gedanke auf, den
Glanz des alten römischen Kaiserthums zu erneuern, aber in höherer und edlerer
At, als es früher geglänzt hatte Als daher Karl im Jahre 800 mit großem
Gefolge nach Rom kam, setzte ihm der Papst Leo am Weihnachtsabend eine
herrliche Krone aufs Haupt und begrüßte ihn als ersten römisch-deut—
schen Kaiser. Sein Reich aber hieß fortan das heilige römische Reich
deutscher Nation: der Papst sollte darin das geistliche, der Kaiser das
weltliche Oberhaupt sein; nach und nach sollte es alle Volker der Erde in
einem Glauben friedlich umfassen.
6. Doch über diesen gewaltigen Plänen versäumte Karl nicht, sein Volk
auch zu bilden. Neben der Kirche sollten Schulen dazu mitwirken. An seinem
Hofe versammelte er die gelehrtesten und weisesten Männer seiner Zeit, darun—
ter den Angelsachsen Alcuin. Mit diesen unterhielt er sich, wenn er von
seinen Feldzügen ausruhte über gelehrte Dinge, und unermüdlich war er, sich
zu unterrichten und seine mangelhafte Jugendbildung zu vermehren Außer dem
Deutschen sprach er das Lateinische recht gut; das Lesen aber ward ihm schwer.
Rechnen lernte er erst im höheren Mannesalter: auch das Schreiben versuchte
er und gab sich große Mühe dabei, aber die Finger, die das Schwert zu füh—
xen gewohnt waren, fügten sich nicht mehr dem Zwange, Buchstaben zu malen.
Desto eifriger war er darauf bedacht, im Volke und besonders unter der Geist—
lichleit die nöthigen Kenntnisse zu verbreiten; er gründete viele Klosterschulen,
und die Knabenschule an seinem Hofe stand unter seiner eignen Aufsicht, er
ließ sich die Arbeiten der Schüler vorlegen und belohnte den Fleiß und strafte
die Faulheit. Auch beim Chorgesang in seiner Kapelle spähte er scharf nach
Priestern und Sängern, er wußte genau, was jeder vermochte, und ward sehr
ungnädig, wenn ein Fehler vorfiel.
6. Zdür Ackerbau, Gewerbe und Handel that er, im Verhältniß seiner
Zeit sehr viel. Er ließ den Kalender verbessern und ertheilte die genauesten
VBorschriften für alle Stände. So wenig die Deutschen vamals zum Handel
geneigt waren, so machte doch Karl einen Anfang. Er munterte die Kauf—
leute auf und gab ihnen bedeutende Vorrechte. Die Juden, die nach der
Zerstörung von Jerusalem durch die Römer als Sklaven fortgeschleppt und in
lle Länder zerstreut worden waren, beschäftigten sich, seit sie mit den Römern
unter die Herrschaft der Deutschen gekommen waren, ausschließlich mit dem
Handel. Karl achtete ihren Eifer und ihr Geschick für diesen Erwerbszweig und
ab ihnen trotz der Vorurtheile der Christen so viele Rechte, als die Mensch—
lichkeit gebot und der Vortheil des Staats verlangte. Straßen wurden ange—
egt, d urch strenge Gesetze die Reisen der Kaufleute gesichert.
II seinem hãuslichen Leben zeigte der Kaiser Heiterkeit und gute Laune
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ls seine Franfen in Italien einmal an einem kalten Regentage- mit kostbaren