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Mein Großvater legte den Teppich samt der Decke über den Altar,
schloß die Tür und ging.
Des Morgens früh nahm die Großmutter die Schlüssel, um dem
Gefangenen warmen Kaffee zu bringen.
„Du hast schlecht geschlafen, Bürger Narbonne,“ sagte sie zu ihm,
der ihr die Hand entgegenstreckte und die ihre herzlich drückte, während
ihm große Tränen über die blassen Wangen rollten. Nachdem sie ihn
gespeist und mit seiner Hilfe ein kleines Luftloch aus der Rückseite des
Altars gesägt hatte, verließ sie ihn wieder.
Zwei Tage darauf klopfte es in der Nacht gewaltig an der Haus—
tür. Es wurde geöffnet, und zwei Beamte der Regierung mit acht
Soldaten traten ein.
„Wo ist der Bürger Pfarrer? — Ruft ihn!“ Mein Großvater war
noch auf und kam herab.
„Bürger Pfarrer,“ so hub der eine Beamte an, „du bist angeklagt,
Briefwechsel mit Schweden zu führen und den Grafen Narbonne auf—
genommen zu haben; man will ihn gesehen haben, wie er zu dir floh.
Im Namen der Republik verlangen wir die Haussuchung.“
Mein Großvater hatte wirklich dem Könige von Schweden ge—
schrieben, aber ihm nur den Gang der Ereignisse gemeldet. Er hatte
eben einen großen Bericht unter seinen Papieren liegen. Mit männ—
lichem Mute sagte er: „Wohlan, Bürger, du weißt, daß ich Republikaner
bin; suche, ob du etwas findest.“ Er selber leuchtete hinauf. Sie durch—
suchten alle Räume und kamen endlich in sein Studierzimmer. Meine
Großmutter stand dabei, als sie es durchsuchten. Eben kamen sie an
das verhängnisvolle Fach, wo der Bericht lag. Da sah sie, wie mein
Großvater sich hoch aufrichtete, und wie seine Haare sich langsam in die
Höhe stellten. Sie öffneten und brachen plötzlich in ein Hurra aus.
Oben in dem Fache lagen zwei republikanische Lieder, die in diesen
Tagen dem Großvater zugeschickt worden waren, und die er, was er
selbst nicht mehr wußte, oben in das Fach gelegt hatte. Kaum hatten
sie die Lieder gesehen, als der Beamte ausrief: „Er ist ein guter Bürger,
laßt ihn in Ruhe!“ Er reichte ihm die Hand und zog, ohne weiter zu
untersuchen, mit seiner Schar ab. Auf den Knieen dankte mein Groß—
vater Gott für seine Bewahrung.
Es verging Woche um Woche; täglich stieg die Großmutter hinab,
den Gefangenen zu speisen. Es waren gegen zwanzig Bediente in dem
Palast, jeder wußte vom Grafen; aber so groß war ihre Liebe zu dem
Großvater, daß keiner ihn verriet. Er selbst war stets darauf bedacht,
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